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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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und zeig ihn uns. Zeig uns, daß du beschnitten bist, du dreckiger Bengale.
    Maya hatte sich den Glauben systematisch abgewöhnt. Sie hatte die Suren verlernt, die ihre Mutter laut vorgelesen hatte, hatte den weichen Lufthauch am Kopf vergessen, wenn Ammu einen Segen geflüstert und ihr auf die Stirn geblasen hatte. Sie hatte alles Wissen um das Heilige aus ihrem Gedächtnis getilgt und ihren Körper gelehrt, zu der Zeit zurückzukehren, in der sie noch nicht wußte, wie man sich hinkniete, wie man sich niederwarf.
    In den sieben Jahren, in denen sie durchs Land gereist war, hatte sie eine ganz andere Art des Glaubens kennengelernt. Die Moscheen waren auf den Dörfern nur spärlich gesät, und die seit neuestem so fromme Hauptstadt war noch viel weiter weg. Auf dem Dorf wurden Heilige und der Prophet gleichberechtigt nebeneinander verehrt. Ja, es wurde gebetet, und natürlichwurde im Fastenmonat Ramadan gefastet, und wenn die Bauern Land hatten, dann war ein Stückchen davon für den Verkauf vorgesehen, damit sie eines Tages die Pilgerfahrt nach Mekka machen konnten. Doch im Wald wurde Bon-Bibi angebetet, die Göttin der Bäume, und in die Dörfer wurden die Bauls eingeladen – magere Männer mit nasalen Stimmen, die die Lalon-Gesänge sangen und die Worte des Korans in Lieder verwandelten, in den Zwist eines Liebespaares; der Gott spielte die Rolle des Geliebten, der Dichter war sein Bittsteller.
    Hin und wieder hatte sie am Rand eines solchen Konzerts dabeigestanden und der Stimme des Baul fasziniert gelauscht. Doch sie brachte es nicht übers Herz, sich ins Publikum zu setzen, wegen der pakistanischen Soldaten am Straßenrand und allem, was sie erlebt hatte, allem, was im Namen Gottes begangen worden war.
    Schweigend verließen die Männer einer nach dem anderen den Raum. Nur Sohail blieb zurück, streichelte seiner Mutter die Stirn und flüsterte ihr ins Ohr. Maya saß neben ihm, und er streckte die freie Hand nach ihr aus. Es wurde dunkel im Zimmer, das Licht veränderte sich nun schließlich doch, wurde blauschwarz, und in der Brise war eine Andeutung von Kälte. Der Winter ist da, dachte sie. Die Stadt wird nach Mandarinen duften. Ammu hatte dieses Jahr einiges an Gemüse angepflanzt: grüne Bohnen, Blumenkohl, Tomaten. Im Winter kochte sie immer am besten, wenn die kühleren Monate ihnen eine reiche Ernte bescherten. Morgens dämpfte sie frisch geernteten Blumenkohl und Zuckererbsen, die sie dann einfach so aßen, nur mit ein paar Scheiben hartgekochtem Ei obendrauf. Sohail, fiel ihr ein, hatte seinen Teller früher gern mit viel Ketchup bedeckt. Sie drückte seine Hand fester, und er erwiderte ihren Druck, und sie spielten ein uraltes Spiel, einen Morsecode aus Drucksignalen, bis es Maya zu kalt auf dem Stuhl wurde. Sie legte sich zu Ammu ins Bett und wandte ihr Gesicht der Kontur ihrer Schulter zu, ohne sie zu berühren.
    Maya schlief und träumte. In dem Traum war ihre Muttersehr durstig. Wasser, sagte sie. Wasser. Dann sagte Sohail es. Wasser. Sie will Wasser.
    Maya öffnete die Augen und sah, wie Sohail Zamzam in Ammus Mund fließen ließ. Ihr Mund war offen. Sie schluckte. Vielleicht würde Sohail jetzt den Augenblick verderben und von einem Wunder sprechen, aber er richtete sich nur auf und küßte seine Mutter sanft auf die Stirn. Dann nahm er seine Gebetskappe vom Tisch und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, als hätte der Tag nur so und nicht anders enden können.

    Erst als alles vorbei war, fiel ihr Zaid wieder ein. Sie suchte unter dem Schreibtisch und in der Gartenhütte nach ihm, und hinter dem Vorhang aus Spinnweben unter der Treppe. Er war weg. Sie fragte Khadija, ob sie wisse, wo er sei. »In der Madrasa«, antwortete sie. »Der Huzur hat ihn zurückgeschickt.«

Drittes Buch
    Allah tut auch nicht im Gewicht eines Stäubchens unrecht.

1985
Februar
    Im Winter flossen die Wassermassen der Flüsse aus den Überschwemmungsgebieten ab und zogen sich in ihr Flußbett zurück. Was vorher Wasser gewesen war, wurde von neuem zu Land.
    Im Bungalow kehrte wieder der Alltag ein. Unten bereitete Rehana den Garten für den Winter vor und fing an zu stricken. Sufia räumte die Küche vollständig leer und schrubbte sämtliche Oberflächen, bis sie blank wie ihre harten Hände und ihr kantiges Kinn waren. Und Maya schrieb wieder ihre Kolumnen, in denen sie den Diktator, die Geistlichkeit, die Jamaat-Partei, Ghulam Azam und Nizami angriff. Von Shafaat hörte sie, die Leserbriefe hätten sich

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