Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
schlechte Gewissen hetzten sie ruhelos von einem Ort zum andern. Ich werde das Haus so rasch wie möglich verkaufen, dachte sie. Hier kann ich nicht bleiben. Ich würde schwermütig werden in dieser gespenstischen Atmosphäre. Abends zwischen neun und elf Uhr wird Pan- cras anrufen, sinnierte sie weiter. Vielleicht weiß er einen Rat. Er muß mich miitnehmen. Schließlich habe ich das alles allein für ihn riskiert.
Die Stunden dehnten sich unerträglich, bis endlich der Abend über die riesige Stadt herabsank.
Ruth Levan ließ sich von dem gelben Diener einen kleinen Imbiß servieren, dann schickte sie ihn weg. „Ich brauche Sie nicht mehr“, sagte sie tonlos. „Lassen Sie mir Ihre Adresse da. Ihr restliches Gehalt werde ich Ihnen zusenden.“
Sie war wieder allein in dem unheimlichen Haus. Die lähmende Stille legte sich schwer auf ihr Gemüt. Die düstere Atmosphäre, die über jedem Schauplatz eines Verbrechens liegt, zerrüttete ihr Gemüt. Sie zog sich in ihr Zimmer zurück und setzte sich neben das Telephon. Unverwandt starrte sie auf den Hörer. Es war, als erhoffte sie sich von dem schwarzen Apparat die letzte Rettung.
In ihr dumpfes Brüten fiel plötzlich das schrille Läuten der Hausglocke. Sie sprang bestürzt auf. Ihr Gesicht wechselte die Farbe. Unruhige Funken tanzten in ihren Augen. Sie öffnete das Fenster und beugte sich hinaus. „Hallo, wer ist da?“ rief sie mit flackernder Stimme hinunter.
„Kommissar Morry“, klang es herauf, „öffnen Sie bitte! Ich habe noch einige Fragen an Sie zu richten.“
Ruth Levan drückte nervös auf den elektrischen Türöffner. Ihre Gedanken überstürzten sich. Was will er denn noch, fragte sie sich gepeinigt. Hegt er bereits einen Verdacht gegen mich? Ist er gekommen, um mich festzunehmen? Weiß er, daß ich den Mörder kenne? Sie kam nicht dazu, ihre Fragen zu beantworten. Der Kommissar stand bereits vor der Tür. Er klopfte und trat kurz nachher ein. Seine Miene wirkte ernst aber nicht feindselig. Er begrüßte sie so höflich wie in der gestrigen Nacht.
Ruth Levan bot ihm mit fahrigen Handbewegungen einen Platz an. Dann setzte sie sich ihm gegenüber und faltete die zitternden Hände im Schoß. Ihr Gesicht war bleich wie die Wand.
„Sprechen Sie, Sir“, begann sie erschöpft. „Was wollen Sie von mir wissen?“
„Mich interessiert Ihr Verlobter, Miss Levan“, erklärte Morry offen. „Es berührt mich seltsam, daß er sich auf einmal nicht mehr sehen läßt. Wissen Sie, daß er schmutzige Rauschgiftgeschäfte tätigte?“
Ruth Levan wagte nicht, den Blick zu heben. Ein Zittern ging durch ihre Gestalt. Sie wirkte in diesem Moment hinfällig und stark gealtert.
„Davon weiß ich nichts“, erwiderte sie stockend. „Ich weiß wirklich nichts von seinem Treiben. Ich kann es auch kaum 'glauben. Wenn es so wäre, hätte doch mein Vater . . .“
„Hm!“ brummte der Kommissar. „Ihr Vater ist tot. Er kann nicht mehr reden. Ich muß mich an Sie halten, Miss Levan. Was wissen Sie nun wirklich von den dunklen Geschäften Ihres Bräutigams?“ Ruth Levan blieb fest. Sie ließ sich nicht überrumpeln.
„Ich weiß nichts“, antwortete sie auf alle Fragen. Die Vernehmung zog sich stundenlang in die Länge. Kommissar Morry machte es sich auf dem Sofa recht gemütlich. Es hatte den Anschein, als wolle er über Nacht bleiben.
Wenn er doch endlich ginge, dachte das Mädchen beklommen. Pancras kann jeden Moment anrufen. Es kommt zur Katastrophe, wenn dieser Schnüffler das Gespräch belauscht. Er wartet anscheinend darauf. Er muß einen sechsten Sinn haben. Wie wüßte er sonst, daß Pancras versprochen hat, diesen Abend . . .
Das schrille Läuten des Telephons zerriß ihre Gedanken. Sie wollte hastig nach dem Hörer greifen. Aber der Kommissar kam ihr zuvor. Schweigsam hielt er die Hörmuschel ans Ohr.
„Hallo, bist du es, Ruth?“ hörte er eine heisere Stimme durch die Leitung schnarren. „Ist die Luft sauber? Kann ich in einer halben Stunde das Haus betreten?“
Morry legte rasch die Hand auf den Hörer. „Kommen Sie“, zischte er Ruth Levan zu. „Ihr Bräutigam ist am Apparat. Sagen Sie ihm, daß er kommen soll. Er hat doch nichts zu verbergen, wie? Na also! Dann kann er doch kommen.“
Ruth Levan nahm mit zitternden Händen den Hörer in Empfang. Sie brachte kaum einen Ton über die Lippen. Die Anwesenheit des Kommissars störte sie. Er stand unmittelbar neben ihr. Er mußte jedes Wort hören, das aus der Sprechmuschel
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