Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
wehrlos ausgeliefert. Er kann sich Zeit lassen. Seine Rechnung geht immer auf.
Ein dünner Lichtstrahl geisterte über das Lager, glitt über Mara Revell hin, blieb auf Ray Mortimer haften. Es ist wie bei einer Hinrichtung, dachte Mara Revell in panischem Entsetzen. Wir müssen hier warten, bis dieser Satan den Schlußstrich zieht. Er wird uns genauso quälen wie die ändern. Jetzt schon wird er mit teuflischem Vergnügen unsere Angst beobachten.
Ray Mortimer zielte auf die blendende Lampe. Ich muß es versuchen, dachte er, auch wenn wir den kürzeren ziehen. Er schoß. Die Kugel fuhr peitschend aus dem Lauf.
Die Lampe verlosch, Glasscherben fielen klirrend zu Boden. Ein häßliches, bösartiges Gelächter schloß sich an. Ein triumphierendes Geheul, wie es vertierten Mördern eigen ist. Aber dieses Gelächter verstummte jäh und unvermittelt. Draußen vor der Tür erklangen hastige Schritte. Eine Sekunde später wurde der Raum in weißes Licht getaucht. Ein scharfer Schuß zerriß die Stille. Dem Mörder wurde die Pistole aus den Fingern geschleudert. Um seine blutenden Hände schloß sich eine feste Stahlspange.
Das alles war so schnell vor sich gegangen, daß Mara Revell kaum begriff, was eigentlich geschah. Fassungslos starrte sie auf den unschädlich gemachten Mörder. Es war John Dallas, den sie vor ein paar Wochen in die Sümpfe von Ravenmoor geschafft hatten. War er von den Toten auferstanden?
21
Mara Revell fühlte sich noch immer wie betäubt, als man den Mörder längst abtransportiert hatte. Sie saß neben Ray Mortimer und dem Kommissar in der kleinen Küche und starrte ungläubig auf die beiden Männer.
„Ich begreife das nicht“, stammelte sie fassungslos. „Wir haben damals im Chinesenhotel John Dallas doch mit eigenen Augen sterben sehen. Wir schafften ihn nach Ravenmoor und legten ihn in einer Sumpfmulde nieder. Du warst doch Zeuge, Ray?“
„Interessant, was Sie da erzählen“, murmelte Morry. „Das wußte ich noch gar nicht. Was also geschah damals in Samsons Chinesenhotel? Berichten Sie!“
Mara Revell sprudelte hastig die aufregenden Erlebnisse jener schrecklichen Nacht heraus. „Wir waren allein mit John Dallas im Zimmer, Sir“, stieß sie heiser hervor. „Ich hatte Ray Mortimer eine Pistole gegeben, damit er sich notfalls wehren könne. Aber er kam gar nicht zum Schuß. Die Zimmertür wurde plötzlich aufgestoßen und ein Unbekannter feuerte mehrere Schüsse auf John Dallas ab. Er sank vor unseren Augen zu Boden. Wir hielten ihn für tot. Wir schafften ihn nach Ravenmoor, damit uns die Bande nicht den Mord in die Schuhe schieben konnte. Wir hielten John Dallas wirklich für tot, Sir.“
„Burschen wie er haben ein zähes Leben“, meinte der Kommissar nachdenklich. „Er hat sich eben aus den Sümpfen wieder aufgerappelt. Allein schon die Rachsucht hielt ihn am Leben. Nach allem, was Sie mir da eben erzählten, mußte John Dallas doch annehmen, daß ein Mitglied seiner eigenen Bande den Überfall auf ihn verübt hatte. Na, sehen Sie! Nun ist das Motiv seiner gräßlichen Morde klar. Da er nicht wußte, welcher Mann aus der Bande der heimtückische Schütze .gewesen war, trachtete er allen nach dem Leben. Er quälte seine Opfer bis zur Verzweiflung. Er weidete sich an ihren Qualen. Er wollte seine Rache haben.“
Ray Mortimer überlegte einen Moment. „Glauben Sie wirklich, daß . . . nun, greifen wir irgendeinen aus dem Kreise seiner näheren Umgebung heraus: daß also Sam Lupin oder zum Beispiel Tim Foyle ihren Boß ermorden wollten?“
„Ich halte es zumindest für möglich.“
„Gut, aber das Motiv dazu?“
Scheinbar ganz in Gedanken fuhr Kommissar Morry mit dem Finger über die Karos der Tischdecke, als zeichne er die Felder eines Schachbrettes nach. „Das Motiv? Hm, vielleicht der Drang nach Selbständigkeit, gekränkter Stolz . . . Machthunger, Geld. Sind das nicht Gründe genug?“
„Nein!“
„Und warum nicht?“
„Weil kein einziger von der Bande ausreichende Fähigkeiten besaß, um John Dallas zu ersetzen, und weil das jeder von ihnen wußte!“ Ray Mortimer beugte sich vor: „Hören Sie, Kommissar! Ich halbe selbst die Bestürzung erlebt, die der vermeintliche Tod ihres Chefs bei den Brüdern auslöste. Dallas war der Kopf der Bande, unter seiner Leitung funktionierte bis auf wenige Versager die Organisation ausgezeichnet. Er allein verstand es, lohnende Geschäfte anzubahnen und auszuführen, und dementsprechend verdienten seine Laute.
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