Mein Freund Dewey, der beruehmteste Kater der Welt
zu Hause verbracht.
Der Spätsommer ist in Spencer die schönste Jahreszeit. Der Mais steht dann golden und grün und drei Meter hoch auf den Feldern und die Sonne scheint. Wir lassen den ganzen Tag über die Fenster offen, damit es auch im Haus nach Sommer riecht und es fällt uns manchmal gar nicht leicht, im Haus oder im Büro zu bleiben.
Den ganzen Tag lang starrte Dewey durch das Fliegengitter meines Fensters nach draußen. Den Mais konnte er vom Fensterbrett aus nicht sehen, aber er konnte die Vögel hören. Er spürte den leichten Wind und roch all das, was Katzen riechen, wenn sie die Nase in die freie Natur halten.
Und all das vermisste er jetzt. In der Bücherei gab es zwar auch Fenster, aber sie ließen sich nicht öffnen. Man konnte den neuen Teppichboden riechen, aber nicht die Sommerluft. Anstelle der Vögel hörte man draußen die Lastwagen vorbeifahren.
Wie kannst du mir etwas so Herrliches zeigen, schien Dewey mir vorzuwerfen, und es mir dann vorenthalten?
Die Bücherei hatte einen kleinen Vorraum mit Glastüren zu beiden Seiten. Zwei Jahre lang hatte Dewey diesen Vorraum gemieden. Als er von seinem dreiwöchigen Urlaub bei mir zu Hause zurückkehrte, ging er dazu über, sich dort ständig aufzuhalten. Von hier aus konnte er die Vögel draußen singen hören und wenn die Außentüren offen waren, roch er die frische Luft. Am Nachmittag schien sogar für einige Stunden die Sonne herein. Dewey liebte das Sonnenlicht! Er tat, als sei das alles, was er wollte: In einem Sonnenfleck sitzen und den Vögeln zuhören. Aber wir nahmen ihm das nicht ab: Eigentlich wollte er durch die Eingangstür hinaus in die Außenwelt marschieren!
»Dewey, komm sofort wieder rein!«, rief eine Bibliothekarin, sobald er einem Besucher in den Vorraum gefolgt war. Der Ausgabetisch stand gegenüber dem Vorraum, sodass der arme Kater keine Chance hatte, unbemerkt nach draußen zu gelangen. Deshalb gehorchte Dewey und blieb da.
Irgendwann aber fingen die Kolleginnen an, mich zu holen. Ich war ja sozusagen Deweys Mami. Auf mich hörte Dewey immer – jedenfalls hatte er das bis dahin getan. Jetzt aber merkte ich, dass ich zu drastischeren Maßnahmen greifen musste.
»Dewey, muss ich die Flasche holen?«, fragte ich, wenn er sich weigerte, den Vorraum zu verlassen. Aber er starrte mich nur an.
Daraufhin holte ich die Wasserflasche hinter meinem Rücken hervor. Mehr als gebadet zu werden, hasste Dewey nassgespritzt zu werden. In der einen Hand hielt ich die Flasche, mit der anderen öffnete ich die Tür zum Hauptraum der Bücherei, in den Dewey geknickt zurückschlich.
Zehn Minuten später hieß es: »Vicki, Dewey ist schon wieder im Vorraum!«
Irgendwann wollte ich nicht mehr lieb und verständnisvoll sein. Ich stürmte aus meinem Büro in den Vorraum und schimpfte in meinem strengsten Ton: »Du kommst sofort hier rein, junger Mann!«
Unglücklicherweise saß im Vorraum tatsächlich gerade ein junger Mann. Er zuckte erschrocken zusammen, sprang auf, flitzte in den Hauptraum, griff sich am Lesetisch eine Zeitschrift und versteckte sich dahinter.
Das war mir unglaublich peinlich! Betroffen hielt ich die Tür auf. Ich hatte den Mann übersehen, obwohl er direkt vor mir gesessen war. Dewey trabte an mir vorbei, als wäre nichts geschehen. Aber es kam mir vor, als grinse er ein bisschen.
Eine Woche später konnte ich Dewey nirgends finden. Das war nicht weiter ungewöhnlich, denn Dewey kannte jede Menge Verstecke. Zum Beispiel gab es hinter der Vitrine vorne bei der Tür eine Nische, die in etwa so groß wie eine Schuhschachtel war. Dann gab es noch den braunen Sessel im Kinderbereich, doch wenn er darunter saß, schaute meist Deweys Schwanz heraus. Nicht zu vergessen all die Zwischenräume zwischen den Büchern. Wie in allen Büchereien wurden die Bücher auch bei uns von zwei Seiten ins Regal gestellt. Zwischen den beiden Reihen auf jedem Brett waren ungefähr zehn Zentimeter Abstand. »Zwischen den Büchern« war Deweys bestes Versteck. Um ihn zu finden, musste man Bücher herausnehmen und in den Hohlraum dahinter schauen. Wenn man weiß, dass die Bücherei von Spencer über 400 Regalbretter voller Bücher besaß, kann man sich vorstellen, wie groß das Labyrinth dahinter war, das Dewey zur Verfügung stand. Eine eigene Welt aus schmalen, dunklen Pfaden, die nur ihm allein gehörte. Glücklicherweise hatte er einen Lieblingsplatz: in der untersten Reihe hinter den Cowboy-Romanen.
Aber dieses Mal war er nicht dort. Er
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