Mein Freund Jossele
stand ich vor der Kasse und vor einem neuem Problem: Wie benimmt sich ein allseits respektierter Familienvater, der einen Pornofilm sehen will?
Ich hatte so etwas schon einmal gemacht, in New York, in sicherer Entfernung vom heimischen Herd, und nur weil mir in der Hetzjagd meiner beruflichen Verabredungen eine unverhoffte freie Stunde vergönnt war. Also ging ich ins nächste Kino, und da spielten sie zufällig einen Pornofilm. Es war grauenhaft. Bei meinem Eintritt war die Leinwand von einer Nahaufnahme ausgefüllt, ein sechs Meter großer Frauenmund öffnete sich zwei Meter weit und vollzog etwas Sinnliches in Farbe. Ich stürzte geschlossenen Auges auf die Straße hinaus, litt noch wochenlang unter einer schweren Impotenzneurose und war fest entschlossen, mir nie wieder einen Pornofilm anzusehen.
Und jetzt stand ich also vor dem Eingang zu einem heimischen Kinopalast und erwog den Ankauf einer Eintrittskarte.
Man muss zugeben, dass die israelischen Kinobesitzer auf die israelischen Väter Rücksicht nehmen: Die erste Vorstellung läuft bereits am Vormittag, wenn die israelischen Söhne in der Schule sind. Trotzdem hielt ich es für besser, noch ein wenig zu warten.
Die erste Hürde war die Dame an der Kassa. Da ich befürchtete, dass sie mich vom Fernsehen her erkennen werde, veränderte ich mein Äußeres, indem ich freundlich dreinsah. Es klappte.
Im dunklen Zuschauerraum fand ich ohne Mühe einen guten Platz, ließ mich nieder und beobachtete mit Interesse, wie eine blonde Sexbombe, die mit dem Kopf nach unten an der Wand hing, von einem übellaunigen Neger geohrfeigt wurde. Gerade als ich mich in der Handlung zurechtzufinden begann, erschien auf der Leinwand die Ankündigung. »Demnächst in diesem Theater«, und es wurde hell.
Lauter Lumpen, diese israelischen Kinobesitzer. Aus schnöder Habgier, nur um ein paar jämmerliche Tafeln Schokolade verkaufen zu können, setzen sie ihre Besucher den schlimmsten Gefahren aus und unterbrechen die Vorstellung. Es ist genau diese Art von schlechtem Management, die unseren wirtschaftlichen Niedergang herbeigeführt hat.
Ich rutschte in meinem Sitz nach vorn, so weit ich konnte, und begann mich vorsichtig umzusehen.
Der Saal war zur Hälfte gefüllt, und die Hälfte bestand zur Gänze aus Männern mittleren Alters, nur da und dort . . .
Um Himmels willen. Giora. Der Schulkamerad und beste Freund meines Sohnes Amir.
Vierzehnjährig beide. Dort sitzt er. Statt in der Schule sitzt er in einem Pornofilm, trotz ausdrücklichem Jugendverbot. Wie komme ich von hier weg?
Ich nehme die Brille ab und verstecke mich hinter einer groß entfalteten Zeitung. Vor meinem geistigen Ohr ertönt die Stimme Amirs, der mich zu Hause mit den Worten begrüßt:
»Papi! Was höööre ich?«
Und dazu grinst er.
Wenn nur die Pause schon vorbei wäre! Sobald es dunkel wird, verschwinde ich.
Das ist leichter gedacht als getan. Inzwischen hat nämlich der Film begonnen und ist gar nicht so schlecht. Man könnte ihn beinahe als gut bezeichnen. Die ersten Szenen sind jedenfalls vielversprechend. Sie schildern den Alltag einer durchschnittlichen schwedischen Familie. Die Tochter bringt einem nackten jungen Mann das Frühstück ans Bett, aber er zieht die nackte junge Tochter vor, die Mutter zieht zwischen Tür und Angel den Postboten an sich, der Postbote zieht sich aus. Wohin zieht es eigentlich den Vater?
Väter haben es schwer. Auch Gioras Vater ist nicht zu beneiden, ganz zu schweigen von mir.
Giora - ich werfe einen schrägen Blick nach ihm - hat mich nicht gesehen. Ich bin beinahe völlig sicher, dass er mich nicht gesehen hat. Seine Augen sind unbeirrbar auf die Leinwand geheftet, er will nichts versäumen, er merkt sich's für den eigenen Gebrauch, er legt in seinem Gedächtnis eine Art Zettelkasten an. Es ist eine Schande.
Der nächste Zettel besteht aus einer Lesbierin, die während der Fahrt in einem Aufzug vom Liftboy bekehrt wird. Oben angelangt, schiebt sie die Kollegin, die sie im Negligé erwartet, unmutig zur Seite.
Die Kollegin stolpert, fällt dem Liftboy in die Arme und wird auf der Abwärtsfahrt gleichfalls in das normale Gesellschaftsleben integriert. Hoffentlich hat Giora gut aufgepasst. Hoffentlich hat er seine Blicke nicht umherschweifen lassen.
Die Männer, die um mich herum sitzen, atmen schwer. Es klingt, als litten sie unter Asthma. In Wahrheit leiden sie unter Selbstvorwürfen. Warum, so fragt sich jeder von ihnen, warum bin ich kein Liftboy geworden?
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