Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
du schwer zu erreichen, und zwar in mehr als einer Hinsicht. Ich vermisse dich unendlich. Mir ist klar, dass ich nicht die typische Mutter bin, die immer für ihre Kinder da ist – tatsächlich war ich die letzten zwei Jahre fast immer weg. Aber du darfst nicht mal eine Minute lang glauben, dass ich dich deswegen weniger liebhabe. Du bedeutest mir alles! Du bist das hellste Licht meines ganzen Lebens. Wenn du groß bist, wirst du besser und klüger sein, als ich je hoffen konnte. Schon jetzt staune ich über deine Klugheit und deinen Scharfsinn. Dein Dad und ich sind sehr stolz auf dich.
Hier läuft alles gut. Es ist zwar ziemlich feucht hier, aber das kennt man ja von Florida.
Ich habe Dad ein paar Fotos von mir geschickt – die grässlich sind. Aber du kannst sie dir ansehen, damit du zumindest weißt, wie ich aussehe.
Morgen rufe ich dich an.
Ich liebe dich!
Mit all meiner Liebe, Mommy
Solche Worte waren immer sehr tröstlich. Es stimmte schon, dass sie keine »typische Mutter« war, aber sie selbst hatte auch keine »typische Mutter« gehabt. Meine Mom war schon mit zwölf von ihrer eigenen Mutter bei Scientology eingeführt worden. Janna Blythe war Kettenraucherin, eher intellektuell als mütterlich und hatte einen sehr trockenen Humor. Ihr Geld verdiente sie sich als Englischlehrerin oder als Versicherungsverkäuferin. Da Janna immer arbeiten musste, hatte sich ein Babysitter um meine Mom und ihre vielen Geschwister gekümmert, bis sie alt genug gewesen waren, für sich selbst zu sorgen.
Janna hatte einen Abschluss in Englisch von der University of Illinois und war eine begeisterte Leserin. Aus Rebellion las sie Science-Fiction-Romane, die damals als Schundliteratur angesehen wurden. L. Ron Hubbards Science-Fiction faszinierte sie so sehr, dass sie auch nach anderen Büchern von ihm suchte und 1957, in dem Jahr, als meine Mom geboren wurde, Dianetik entdeckte. Nach der Lektüre wandte sie die neuartigen Heilverfahren und Techniken aus diesem Buch auf all ihre neun Kinder an: Griffee, Jennifer, John, Mickey, meine Mutter, Teresa, Mary, James und Sarah. Die Familie war sehr arm, und mit Dianetik ersparte sie sich offenbar viele Arztbesuche. Janna mochte die rationale Herangehensweise und den Umstand, dass man dadurch, unabhängig vom Alter, sein Leben unter Kontrolle bringen und besser mit vergangenen Erfahrungen umgehen konnte.
Jahrelang genügte es ihr, auf die Kapitel in Dianetik zurückzugreifen, wenn es nötig war. Doch 1969 sah sie eines Tages das Buch im Schaufenster einer scientologischen Mission und ging hinein. Von dem Moment an war sie gefesselt. Sie nahm Kurse in der Mission, und zwei Jahre später beschlossen sie und mein Grandpa Bill, mit der ganzen Familie Blythe nach Los Angeles zu ziehen. Dort trat die Familie in die Sea Org ein und zog auf die Excalibur , ein Schiff der Organisation.
Meine Großeltern merkten schnell, dass die Sea Org von ihnen ein Maß an Verbindlichkeit forderte, das sie nicht leisten konnten. Bereits nach wenigen Monaten beschlossen sie auszusteigen. Vor allem mein Großvater fand, dass es kein angemessener Ort für seine Kinder war, zumal alle auf Matratzen auf dem Boden schlafen mussten. Als Bill und Janna sich für die Abreise vorbereiteten, überraschte sie meine Mom mit der Ankündigung, sie würde nicht mit ihnen gehen. Es gefiel ihr, dass bei Scientology alle Kinder wie kleine Erwachsene angesehen wurden, die zwar viel Verantwortung tragen mussten, aber auch mit Respekt behandelt wurden. Wichtiger war für sie jedoch noch der Umstand, dass sie Teil einer weltweiten, stetig an Bedeutung gewinnenden Bewegung sein konnte. Dianetik und Scientology waren in spirituellen Kreisen so neu, dass sie kaum älter waren als sie selbst – und nun wollte sie mit ihnen wachsen.
Obwohl mein Großvater versuchte, sie umzustimmen, kam meine Mutter nicht mit ihnen. Aber er weigerte sich, sein Sorgerecht abzutreten. Viele Jahre später erzählte mir meine Mom, sie sei versteckt worden, als die Behörden nach Meldungen über Kindesmisshandlungen nach dem Rechten sahen. Dabei gingen sie auch Berichten darüber nach, dass jüngere Kinder auf der Base nicht die Schule besuchten. Mom wurde zu ihrem Bruder auf die Apollo geschickt, die im Hafen von Lissabon in Portugal lag, weil sie dort nicht zur Schule gehen musste.
Die Trennung von ihren Eltern fiel meiner Mom nicht schwer. Vielleicht war es auch deshalb für sie einfacher, von mir getrennt zu sein. Sie war Trennungen gewohnt.
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