Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
dass es der 9. Mai, der Jahrestag der Dianetik, war. Zur Feier dieses Tages organisierte die Church alljährlich ein internationales Event, das via Satellit zu allen scientologischen Stützpunkten, inklusive der Ranch, übertragen wurde. Taryn, Jessica und Heather hatten unsere Flucht direkt gemeldet. Weil sie uns nachfahren mussten, verpassten sie den Anfang, der immer das Beste war, weil es Showeinlagen von Sängern und Tänzern gab. Jetzt würden Rebecca und ich nicht nur Ärger wegen unseres Fluchtversuchs bekommen, sondern waren auch dafür verantwortlich, dass sie den Anfang der Show verpasst hatten.
Als wir auf der Ladefläche des Trucks zurück zur Ranch fuhren, strömten Rebecca Tränen über das Gesicht, und mir war ziemlich übel. Es war eiskalt, und wir stießen jedes Mal gegen die älteren Mädchen, wenn die gewundene Straße eine scharfe Biegung machte. Jemand öffnete unseren Rucksack und holte die Karotten und die Eier heraus, die ich gestohlen hatte. Dann fingen alle gleichzeitig an zu lachen und riefen uns höhnische Fragen zu, deren Antwort sie gar nicht interessierte.
»Wolltet ihr von Möhren und rohen Eiern leben?«, fragte eine.
»Wo wolltet ihr überhaupt hin?«, fragte eine andere.
»In die Wog-Welt, weg von euch gemeinen Fieslingen!«, schrie ich. Ich begriff nicht, warum niemand uns ernst nahm – ich war fest entschlossen gewesen, in der Wog-Welt zu leben. Aber sie sahen sich nur an und lachten noch lauter.
Als wir schließlich vor dem Schulgebäude hielten, warteten Justin und Sterling auf uns. Auch sie lachten und machten sich über uns lustig. Ich wäre fuchsteufelswild gewesen, hätte ich nicht solche Angst vor dem gehabt, was Mr. Parker für uns vorgesehen hatte.
Sie wartete im Schulgebäude und eröffnete mir sofort, dass unsere Flucht schon aufgeflogen war, noch bevor wir das Vordertor erreicht hatten. Mr. Parker war verärgert und sehr enttäuscht. Sie schrie uns an und verkündete, wir wären nun beide im niedrigen Ethik-Zustand und müssten am nächsten Morgen als Erstes Wiedergutmachung leisten. Die Strafe war unerwartet mild, doch ich hasste es, dass wir beide im Ethik-Zustand ›Belastung‹ waren und uns wieder hocharbeiten mussten. In diesem Zustand muss jedes Mitglied der Gruppe unterschreiben, dass man wieder in die Gruppe aufgenommen wird. Wenn die Mehrheit dagegen ist, muss man so lange Wiedergutmachung leisten, bis alle einverstanden sind.
»Solltest du noch mal versuchen auszureißen, wird deine Strafe verdoppelt«, drohte sie.
Rebecca bekam noch eine Zusatzstrafe. Sie wurde für mehrere Wochen vom Kadetten zum Kind degradiert. Ich wusste, es war ungerecht, dass sie schlimmer bestraft wurde als ich, sprach es aber nicht an. Doch Taryn ließ mir das nicht durchgehen und nannte mich »verwöhnte Göre«, weil ich besser als Rebecca davongekommen war.
Als Rebecca und ich zu Bett gingen, schämten wir uns so sehr, dass wir mit niemandem sprachen, auch nicht miteinander. Am nächsten Morgen hatte ich solche Angst, dass ich mich ständig übergeben musste. Nach dem Frühstück wurde es noch schlimmer.
Meine Freundin Eva machte sich Sorgen, aber Taryn nicht im Geringsten. »Tja, sieh dir an, was du angezogen hast«, sagte sie ungerührt. Anziehen gehörte zum scientologischen Konzept und bedeutete, dass man, wenn man etwas Schlimmes tat, gleichzeitig dafür sorgte, dass einem etwas Schlimmes passierte. Man zog es an, ähnlich wie schlechtes Karma, nur dass es bei den Scientologen auch garantiert so kam. Der Thetan nämlich sorgte dafür, dass einem etwas Schlimmes widerfuhr, um einen für sein Fehlverhalten zu bestrafen.
Mr. Parker sah es genauso wie Taryn, denn sie sagte: »Bilde dir bloß nicht ein, du kämst um die Wiedergutmachung herum, bloß weil dir übel ist.« Dabei wollte ich doch nur mein Essen bei mir behalten. So etwas war mir noch nie passiert.
Rebecca und ich wurden dazu bestimmt, getrennt von der Gruppe für Mr. Cathy Mauro zu arbeiten. Es hätte wesentlich schlimmer kommen können, wir mussten die Steingärten am Cottage von Unkraut befreien. Außerdem mochten wir Mr. Mauro lieber als Mr. Parker.
Rebecca und ich durften natürlich auch nicht die Übertragung des internationalen Dianetik-Tages sehen. Allen anderen Kindern wurde mitgeteilt, dass nur wegen uns der Anfang nicht aufgezeichnet worden sei. Kinder, die dabei gewesen waren, berichteten uns, dass wir dafür heftig ausgebuht worden wären.
Einen Großteil der folgenden Woche sprach Mr.
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