Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
hatte die CMO , in der ich nun Trainee sein sollte, eine eigene EPF . Auch die hatte ich nicht durchlaufen. Es war also in jeder Hinsicht zu früh.
Ich zog mir die Uniform an und ging zu Toms Büro zurück. Bei meinem Anblick lachte er und sagte: »Die kleine Jenna ist erwachsen geworden.« Als ich ihm erklärte, dass mir die ganze Situation unangenehm sei, weil ich keine der beiden EPF s absolviert hätte, meinte er nur, ich sollte mir keine Sorgen machen, vorläufig sei ich ein Mitglied der Sea Org. Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte, aber Tom schien meinen inneren Aufruhr nicht zu bemerken. Er wies mich an, zum Coachman Building zu gehen und mit dem Kurs anzufangen.
Einer meiner ersten Kurse war der sogenannte Student Hat. Da ich im Kursraum mehrere Bekannte sah, fühlte ich mich gleich wohler. Meine erste Aufgabe bestand darin, mich mit einem Stuhl vor eine Wand zu setzen, an der einer der Grundsätze von LRH hing. Eine Stunde lang musste ich dort sitzen und mir LRH s Worte ansehen. Wenn ich mich bewegte, hustete, wegsah oder müde wurde und einschlief, fing die Stunde von vorne an. Damit sollte ich lernen, ein guter Student zu werden. Diese Übung sollte mich außerdem dazu bringen, die Grundsatzpunkte zu lesen, die zur Absolvierung des Kurses nötig waren. Manche in diesem Kursraum hatten Wochen für diese Übung gebraucht. Da ich ein eher unruhiger und bewegungsfreudiger Mensch war, wusste ich, dass auch ich eine Ewigkeit hier sitzen würde. Deswegen gab ich mir besonders viel Mühe, stillzusitzen.
Die Terminologie des gesamten Kurses überstieg derart mein Begriffsvermögen, dass er auch in einer anderen Sprache hätte abgehalten werden können. Ich musste Die Zehn Punkte, wie Scientology funktioniert auswendig lernen, und zwar wortwörtlich. Dazu rezitierte ich sie immer wieder vor einer Wand und wurde von einem anderen Studenten abgehört. Dann musste ich die zehn verschiedenen Möglichkeiten lernen, ein Wort falsch zu verstehen. Außerdem hörte ich mir zwölf Tonaufnahmen von LRH s Vorträgen an, die für ihren Wortreichtum und ihre Komplexität berüchtigt waren, und lernte unzählige technische Begriffe über Fotografie und Druck. Daneben las ich Hunderte seiner Grundsätze. Jedes Mal, wenn ich eine Reihe Schriften gelesen hatte, wurde mein Wissen strengen Tests unterzogen, die auch als Theory Drills oder Was tust du?-Drills bezeichnet wurden. Dabei stellte mir ein anderer Student eine Reihe Fragen, die Zitaten aus den Grundsätzen entnommen waren. »Was tust du?«, fragte er etwa oder: »Wie lauten die zehn Möglichkeiten, ein Wort falsch zu verstehen?«
Um den Test zu bestehen, musste ich korrekt und ohne zu stocken antworten. Der kürzeste Test bestand aus fünfundzwanzig Fragen, doch normalerweise musste man mit vierzig bis hundert Fragen rechnen. Beantwortete man eine Frage falsch, dann musste man zuerst die ganze Fragenfolge weiter beantworten und dann wieder von vorne beginnen, bis man ohne einen einzigen Schnitzer durchkam. Wie üblich gab es auch in diesem scientologischen Kurs täglich Meter- und Spot-Checks. Ich zählte die Sekunden bis zum Mittagessen, weil ich Bärenhunger hatte (ich war nie rechtzeitig fertig, um den Bus vom Quartier zu bekommen und vor dem Morgenappell zu frühstücken) und auch, weil ich eine Pause herbeisehnte.
Zu Mittag aß ich in der Personalkantine des neu renovierten Clearwater Bank Building direkt gegenüber des Coachman Building. Es freute mich sehr zu sehen, dass Valeska hier arbeitete. Wir umarmten einander und brachten uns auf den neuesten Stand. Sie erzählte mir, dass sie nicht mehr in der CMO sein dürfe, weil ihre Mom öffentlich gegen Scientology reden würde und sie deswegen auch selbst für die Organisation disqualifiziert sei. Jetzt war sie Mannschaftssteward, musste das Essen servieren und für die Mannschaft aufräumen.
Ich fühlte mich sehr unbehaglich in der Kantine. Alle außer mir hatten einen festen Platz, und alle Plätze im CMO -Bereich schienen besetzt zu sein. Wann immer ich mich auf einen Platz setzen wollte, erklärte mir jemand von der CMO , dass dort schon jemand sitzen würde. Ich war so schüchtern, dass ich nicht auf den Platz bestand, sondern schließlich nach den Mahlzeiten zusammen mit Valeska und dem Rest der Küchencrew aß.
Im Grunde passte ich nicht zur CMO -Gruppe. Sie fanden es komisch, dass ich mit dem Küchenpersonal aß, und mieden mich deshalb. Nach Kursende um halb zehn fuhr ich mit dem Bus nach
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