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Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Titel: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Miscavige Hill , Lisa Pulitzer
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irgendeinem bösartigen Wunsch nach Aufsässigkeit oder danach, mich in Schwierigkeiten zu bringen, zu tun haben. Er war kein schlechter Mensch, und er wollte nicht die gesamte Kirche untergraben. Er versuchte lediglich, die Welt zu begreifen, in der er aufgewachsen war, und stellte in diesem Zusammenhang eben ein paar unbequeme Fragen.
    Es lag nicht allein an Martinos ehrlicher Art, dass ich solchen Ideen gegenüber immer aufgeschlossener wurde. Nach meinen Erfahrungen mit Justins Austritt und Moms Beinahe-Bruch mit der Kirche begann ich mir einzugestehen, dass viele Menschen, darunter die, die mir am nächsten standen, sich mit solchen Gedanken beschäftigten. Wäre ich Martino nur ein Jahr früher begegnet, wahrscheinlich hätte ich seine Fragen als aufdringlich und gefährlich empfunden. Doch nicht zuletzt wegen der Geschehnisse um Justin entsprach seine Nachdenklichkeit jetzt immer stärker meiner eigenen.
    Dabei ging es ihm gar nicht um eine zentrale Streitfrage, sondern eher um viele kleine. Warum war ich von meinen Eltern getrennt worden? Was bedeuteten diese Kurse wirklich? Warum mussten wir alle so schuften? Was hieß es tatsächlich, ein Thetan zu sein? Es war zugleich anstrengend und belebend, über diese Fragen auf eine andere Weise nachzudenken. Das Heikle an diesen kleinen Fragen war natürlich, dass sie keine Ruhe mehr geben wollten, sobald ich sie mir einmal gestellt hatte.
    Ein paar Monate später war Martino mein mit Abstand bester Freund. Er wusste alles von mir und ich alles von ihm. Er verstand Dinge auf eine Art, wie es meine Freunde in der CMO nicht konnten. Sie alle wirkten inzwischen auf mich künstlich und automatenhaft. Ich freundete mich mit seiner Clique an. Tyler gehörte dazu. Er war nett, witzig und ein guter Freund, aber verknallt war ich mittlerweile in Martino. Und das Beste daran war, dass er eindeutig das Gleiche für mich empfand.
    Das einzige Problem bestand darin, dass wir außerhalb des Kursraums eigentlich nicht miteinander reden durften, da er nicht in der Sea Org war. Also mussten wir alles daransetzen, die anderen nicht merken zu lassen, was los war. Unsere Freundschaft ließen wir uns von diesem Verbot nicht kaputt machen, aber es machte das Leben deutlich komplizierter. Meine Beziehung zu den anderen Leuten in der CMO wurde durch die Freundschaft zu Martino schwieriger. Diese Leute dachten nicht wie er und diskutierten auf ganz andere Art. Es war nicht leicht, vom Offenen und Ehrlichen umzuschalten und alles sofort wieder zu unterdrücken. Besonders bei Olivia und Julia, mit denen ich arbeitete.
    Die beiden waren bei ihrer Arbeit immer schon sehr verbissen gewesen, aber seit ich mehr Zeit mit Martino verbrachte, erkannte ich, dass sie nicht nur verbissen waren, sondern die Macht ihrer Stellung dazu nutzten, die anderen in der Gruppe einzuschüchtern. Den Leitgedanken unserer Abteilung zufolge sollten wir den Leuten helfen , ihre Jobs zu erledigen – wir sollten dabei helfen, Störungen oder niedrige Statistiken in irgendeinem Bereich der Organisation aufzuspüren, diese Störungen zu untersuchen und zu identifizieren, wer sie verursachte. Vor allem Julia wurde jedoch regelrecht besessen davon, die Einhaltung der Vorschriften durchzusetzen und die Post der anderen zu kontrollieren. Olivia machte häufig mit, wenn auch ohne wirkliche Begeisterung, wie ich den Eindruck hatte. Sie liefen mit Swagger Sticks herum – Stöcke, mit denen Sea Org-Mitglieder ihre Autorität demonstrierten – und schlugen damit auf die Schreibtische, wenn jemand zögerte, seine Tagesstatistik vorzuzeigen. Julia brüllte jeden an, dessen Statistik gesunken war, was dazu führte, dass viele so wie ich ihre Statistikaufstellungen fälschten. Wer dabei erwischt wurde, bekam natürlich noch mehr Ärger und erhielt einen niedrigeren Ethik-Zustand. Fiel jemand bei einem E-Meter-Check durch, musste er ein Ethik-Interview absolvieren, bei dem Julia drohend hinter dem E-Meter-Operator stand und den Beschuldigten schreiend aufforderte, seine Missetaten zu gestehen.
    Zu dieser Zeit wurden CMO -Mitarbeiter vor der gesamten Gruppe dafür bestraft, wenn sie abends die Kantine besucht und sich dort mit Flag-Angehörigen angefreundet hatten. Einige mussten sich vor der Gruppe rechtfertigen, weil sie es gewagt hatten, Tanktops zu tragen, die als zu knapp geschnitten und vulgär galten. Die CMO -Gruppe wurde komplett in den Zustand ›Gefahr‹ gestuft, womit bis zur Aufhebung Kinobesuche, Ausflüge und freie

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