Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
ständig jemanden zu küssen, der streng genommen kein Sea Org-Mitglied war, was ein Out 2D darstellte und mich wie Mom in die RPF bringen konnte. Würde mir die Zustimmung, zur Ranch zurückzukehren, verweigert, bestand noch die Möglichkeit, zu Martino und meinen anderen Freunden in die Flag Cadet Org zu kommen. Beide Szenarien bedeuteten eine einstweilige Trennung von der CMO und der Sea Org. Eine bloße Nachfrage konnte meiner Einschätzung nach nicht schaden, da es ein LRH -Grundsatz verbot, wegen des Verfassens einer Petition in Schwierigkeiten zu geraten.
Den Antrag einzureichen mochte dreist sein, doch ich beruhigte mich damit, dass ich nur so Ärger vermeiden und auf dem richtigen Weg bleiben konnte. Durch meine Liebe zu Martino war ich bereits jetzt der Überschreitung einer Linie gefährlich nahe gekommen. Ich hatte Angst, in einer noch weitaus schlimmeren Lage zu enden, wenn ich die Sache einfach weiterlaufen ließ. Es zerriss mich innerlich, und Martino, den die Nachricht vom Brief an meine Tante tief bestürzte, ging es nicht anders.
Verschlimmert wurde meine verwirrende Lage durch eine allgemeine Unruhe auf der Base, die das Leben jedes Einzelnen zusätzlich verkomplizierte. Auslöser waren Demonstranten, die täglich vor der Base auftauchten, was die paranoide Stimmung, die uns ständig umgab, nur noch weiter anheizte.
Angefangen hatte der ganze Ärger, als die Church zwei schwerer Verbrechen angeklagt wurde; und zwar im Zusammenhang mit dem Tod von Lisa McPherson, einer öffentlichen Scientologin, die am 5. Dezember 1995 in der Obhut von Mitarbeitern der Church auf der Flag Land Base gestorben war. Vorausgegangen war ein unbedeutender Autounfall am 18. November in der Gegend von Tampa/Clearwater. Den Rettungssanitätern zufolge hatte die sechsunddreißigjährige Lisa keine physischen Verletzungen davongetragen, verhielt sich jedoch psychisch auffällig. Sie versuchte beispielsweise dauernd, ihre Kleidung auszuziehen. Die Mediziner wollten sie deshalb zur Beobachtung in ein Krankenhaus einweisen, wogegen sie sich wehrte, weil sie die religiöse Pflege und Hilfe durch andere Scientologen wünschte. Abgesandte der Church kamen, unterstützten sie bei ihrer Entlassung und brachten sie zur Genesung auf die Base zurück. Lisa war seit ihrem achtzehnten Lebensjahr Mitglied bei Scientology und glaubte sich in besten Händen. Stattdessen wurde sie unter eine sogenannte Isolation Watch gestellt, letztlich ein vierundzwanzigstündiges Monitoring , und das, obwohl ihr erst einen Monat zuvor der Clear-Status zuerkannt worden war.
Angeblich soll Lisa in den letzten Monaten ihres Lebens extrem verstört gewesen sein. Die offizielle Todesursache lautete nach der ersten Leichenbeschau auf »Dehydrierung«. Die anschließende Untersuchung führte zu zwei strafrechtlichen Anklagepunkten gegen die Church: »Misshandlung und/oder Vernachlässigung einer behinderten Person« sowie »ärztliches Praktizieren ohne gültige Zulassung«. Die Kirche ihrerseits leugnete vehement jedes eigene Fehlverhalten.
Die Tatsache, dass Lisa zum Zeitpunkt ihres Todes in der Obhut von Scientologen war, löste Empörung aus. Einige Berichte behaupteten sogar, mein Onkel sei persönlich an dem Auditing beteiligt gewesen, das in Lisas Clear endete, womit auch sein Name befleckt war. Schließlich strengte die Familie von Lisa McPherson 1997 einen Zivilprozess wegen »widerrechtlicher Tötung« gegen die Church an.
Mächtig Auftrieb erfuhr diese Anti-Scientology-Stimmung, als der millionenschwere Geschäftsmann Bob Minton 1999 die Lisa McPherson-Stiftung gründete, deren Ziel es war, die »irreführenden und manipulierenden Praktiken von Scientology aufzudecken« und »denen zu helfen, die von ihr [der Church of Scientology] geschädigt wurden«. Fünf Mitarbeiter hatte diese Stiftung, darunter vier ehemalige Scientologen. Der fünfte war Minton selbst.
Zum vierten Jahrestag von Lisas Tod organisierte Minton eine große Mahnwache in Clearwater und forderte, die Kirche solle für diesen Tod zur Rechenschaft gezogen werden. Aufgrund der zahlreichen Demonstranten an der Base informierte uns das Office of Special Affairs regelmäßig über alle Maßnahmen, die zur Kontrolle der Stiftungsleute unternommen wurden.
Ein paar der Hintergründe kannte ich. Onkel Dave hatte die gesamte Flag-Crew gebrieft. Erbost hatte er uns erklärt, dass dieser ganze Aufruhr nur entstanden sei, weil wir, die Mitarbeiter der Base und alle, die für
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