Mein Geheimnis bist du
Freunde, sie kennt die Gegebenheiten. Für sie ist es ein vertrauter Ort. Die Umstellung sollte unter diesen Voraussetzungen auch für mich nicht so schwer werden. Trotzdem . . .«
In Andrea keimte ein zarter Funke Hoffnung auf. »Wenn du so große Zweifel hast, dann bleib doch hier.«
Mareike seufzte. »Dann verliere ich Laura ein weiteres Mal. Vielleicht endgültig.«
Noch Minuten, nachdem Mareike gegangen war, saß Andrea wie betäubt da. Tiefer und tiefer brannte sich die Bedeutung von Mareikes Worten in ihr ein: Mareike würde bald nicht mehr da sein.
Denn dass sie sich am Ende dafür entscheiden würde, mit Laura zu gehen, stand außer Frage. Im Moment war Mareike zwar noch etwas durcheinander. Aber am Ende würde sie Laura folgen.
Dem Stich in Andreas Herzen folgte Leere. Bisher hatte sie geglaubt, Mareike jeden Tag zu sehen und zu wissen, dass deren Herz einer anderen gehörte, wäre schlimm. Schlimmer konnte es nicht werden. Sie hatte sich geirrt.
Seit Mareike von ihrem bevorstehenden Weggang nach New York erzählt hatte, wachte Andrea jeden Morgen mit dem Gedanken auf, dass am Ende des Tages der Abschied weitere vierundzwanzig Stunden näher gerückt war. Dieser Gedanke lähmte Andrea. Es kostete sie immer wieder aufs Neue eine unheimliche Willensanstrengung, nicht dem Wunsch nachzugeben, einfach im Bett liegenzubleiben.
Blau machen, nur einen Tag.
Der Gedanke lockte. Sie müsste dann nicht dieses Gefühl der Leere in sich bekämpfen, um wenigstens einigermaßen passabel die anstehenden Besprechungen und Kundenbesuche zu bewältigen. Sie könnte sich einfach gehenlassen, müsste die häufig aus dem Nichts aufsteigenden Tränen nicht zurückzudrängen.
Aber das ging natürlich nicht. Sie musste aufstehen, ihren Job machen.
Also tat sie es, funktionierte. Wie eine Maschine. Beobachtete sich dabei selbst wie eine Außenstehende. Sah eine ihr fremde Person, ohne jedwedes Engagement.
Sobald Andrea allein mit sich war, im Büro oder zu Hause, fiel auch das letzte bisschen Energie von ihr ab. Jede Bewegung stellte eine übermenschliche Kraftanstrengung dar. Es überforderte Andrea, irgendeine Entscheidung zu treffen. War es nun die, einen Anruf zu tätigen, einen Ordner aufzuschlagen oder auch nur, sich einen Kaffee zu machen, geschweige denn etwas zu essen.
Andrea entging nicht, wie Weller sie immer öfter kritisch musterte, unzufrieden mit der ungewohnten Trägheit seiner jungen Kollegin. In einer Phase, wo jeder Tag zählte. Er konnte sich Andreas Veränderung nicht erklären. Auf seine diesbezüglichen Fragen antwortete Andrea ausweichend, reagierte zuweilen sogar gereizt.
Andrea tat es leid, dass sie ihren alten Kollegen und Freund so anfuhr. Aber es ging streckenweise über ihre Kräfte, sich zusammenzureißen. Besonders angespannt war Andrea, wenn sie von einem Termin mit Mareike kam, wo sie mal wieder alles daran gesetzt hatte, sich nicht anmerken zu lassen, wie es in ihrem Inneren aussah. Doch es ging noch schlimmer. Zum Beispiel wenn Mareike Andrea irgendwo abfing und sie zu Problemen befragte, etwa ob sie ihre Wohnung untervermieten oder besser gleich kündigen sollte oder wo sie ihre Möbel einlagern konnte.
Mareike dagegen war – nun, wo sie endgültig die Entscheidung getroffen hatte, mit Laura zu gehen – wieder ganz die alte. Souverän, ausgeglichen, manchmal etwas schnippisch.
Andrea entwickelte eine neue Lieblingsphantasie. Sie bestand darin, dass Mareike sie plötzlich in den Arm nahm und sagte, dass das Ganze eine Schnapsidee war, dass sie nicht nach New York ging. Weil sie nicht ohne sie, Andrea, sein wollte.
Natürlich passierte nichts dergleichen. Und mit jedem Tag wurde Andrea schmerzlicher bewusst: Mareike würde bald auf einem anderen Kontinent wohnen, ein neues Leben aufnehmen, neue Freunde finden.
Und an dich wird sie höchstens hin und wieder, aber auch nur vielleicht, mit einem kleinen Lächeln denken. Die Frau, die ihr das Leben schwermachte und dennoch so was wie eine Freundin wurde. Für eine kurze Zeit. Vielleicht kam Mareike auch noch ein Gedanke wie: Schade eigentlich, es wäre schön, wenn Andrea jetzt hier wäre, aber man kann nicht alles haben.
Andrea seufzte einmal tief in sich hinein, schlug die Bettdecke zurück. Schwerfällig stand sie auf und schlurfte ins Bad. Wie schon die Tage zuvor, vertrieb die Dusche die Müdigkeit, jedoch nicht die innere Antriebslosigkeit. Aber das erwartete Andrea auch nicht mehr. Die Erfahrungen der letzten Tage zeigten,
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