Mein Geliebter, mein Prinz
die Ortschaft und kehrten zum Wagen zurück, betroffen über die Leere und Stille. Abgesehen von zwei Kindern, die Zeichen in den Staub kritzelten und die beiden Besucher mit großen Augen anstarrten, zeigte sich niemand auf den Straßen.
Wie eine Geisterstadt, dachte Nico. „Hierher kommt keiner“, sagte er nachdenklich. Nicht einmal er. Zwar raste er auf seinem Motorrad über die Insel. Aber er machte nirgendwo lange genug Rast, um wirklich hinzuschauen. Nico schüttelte den Kopf wie ein Mann, der aus einem langen Schlaf aufwachte. Was kann ich tun, um den Menschen zu helfen? überlegte er.
Dafür muss ich nicht der Thronerbe sein, wurde ihm dann klar. Und Nico ärgerte sich darüber, dass ihm erst eine Ausländerin, diese Engländerin, den Ort gezeigt hatte. Wer sonst hätte sich überhaupt getraut, eine Fahrt in eins der entlegenen Bergdörfer von Nico zu verlangen? Wer hätte ihm direkt in die Augen gesehen und die Dinge zu ihm gesagt, die Ella unbekümmert aussprach?
Und stellte es nicht einen Vorteil dar, dass sie nichts mit der Insel zu tun hatte? Es gab Nico die seltene Gelegenheit, sich offen zu äußern. Würde es Ella etwas bedeuten?
„Ich habe solche Orte vernachlässigt.“
Ella hörte das Schuldbewusstsein aus seiner Stimme heraus. „Du kannst nicht alles tun, Nico“, erwiderte sie sanft.
„Ich könnte mehr tun.“
„Einverstanden. Tatsächlich glaube ich, zumindest für dieses Dorf eine Idee zu haben.“
Sie ist gut in ihrem Job, dachte Nico. Er hatte richtig gelegen, ein unverbrauchter Blick konnte neue Perspektiven eröffnen. Vorausgesetzt, dass Ella ihre Grenzen kannte …
Die Sonne brannte auf sie beide herunter, wärmte seine Haut und erfüllte Nico mit sinnlicher Zufriedenheit. Ella hatte vernünftigerweise einen Hut aufgesetzt, der ihr Gesicht schützte, und dadurch wirkte sie sehr rein und unschuldig.
Unschuldig?
Atemberaubend deutlich erinnerte sich Nico daran, wie gut sie in jener Nacht in ihrem Cottage harmoniert hatten. Sofort erwachte das mühsam unterdrückte Verlangen in Nico und beherrschte alles.
„Möchtest du sie hören?“, fragte Ella, die plötzlich auffallend deutlich ihren Herzschlag wahrnahm. Wenn er sie so ansah, fühlte sie sich …
„Was hören?“, fragte er ruhig. Er gab vor, nicht zu verstehen, was sie meinte, während er ihr mit einem unverwandten Blick eine erotische Mitteilung zukommen ließ.
Ella wünschte, er würde damit aufhören. Und gleichzeitig wollte sie, dass er sie für immer so ansah. „Meine … Idee, natürlich.“
„Du kannst sie mir beim Mittagessen erzählen“, sagte Nico lächelnd.
Ihr Herz schlug jetzt sehr schnell. „Fürs Mittagessen ist es noch ein bisschen zu früh.“
„Wir können uns noch eine Zeit lang die Landschaft anschauen.“
Als wäre es ihr gleichgültig, zuckte Ella die Schultern. „Okay“, stimmte sie zu und fragte sich, wo die energische, coole Geschäftsfrau blieb. In der sanften Verheißung seines Blicks verloren gegangen, das war sie!
Nico fuhr ins Landesinnere und hielt am Rand eines kleinen Walds. Dort entdeckte Ella Bäume, die sie nicht kannte. Die Blätter der hohen, anmutigen Bäume warenso großflächig, dass das Blattwerk einen Baldachin über den winzigen blauen Wiesenblumen bildete. Schön, aber auch abgeschieden, dachte Ella, und ihr Herz schlug noch schneller. Dann bitte Nico doch, irgendwo anders hinzufahren, spottete ihre innere Stimme.
„Breitest du schon mal die Decke aus?“, fragte er gelassen. „Ich bringe den Picknickkorb mit.“
Sich der Vernunft verschließend, breitete Ella mit zitternden Händen die Kaschmirdecke auf dem Gras aus. Als Nico den Korb abstellte und sich neben sie setzte, wusste Ella, was passieren würde. Sie überlegte nicht, ob sie Nico widerstehen könnte, sondern ob sie ihm wirklich widerstehen wollte.
Auf die Ellbogen gestützt, lehnte Nico sich zurück und blickte Ella prüfend an. Ihr Körper sah angespannt aus, sie wirkte … ja, erwartungsvoll. Unter den Bäumen war es schattig, und das scheckige Sonnenlicht ließ ein Kaleidoskop aus Goldtönen über ihnen spielen.
„Nimm doch den Hut ab“, schlug Nico vor. „Ich kann deine Augen nicht sehen.“
Wollte sie, dass er es konnte? Ella war nicht sicher. Vielleicht würde er die Zweifel und Ängste in ihrem Blick erkennen. Und vor allem, ihre Sehnsucht. Außerdem sollten sie eigentlich arbeiten, über Tourismusprojekte sprechen … Nur war Arbeit das Letzte, woran Ella im Moment dachte.
Trotz
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