Mein geliebter Ritter
Jamie würde kommen, wenn er wüsste, dass sie in Gefahr war.
Um den Mut nicht zu verlieren, stellte sie sich vor, wie Jamie einen langen Korridor herunterrannte, um die Tür zu diesem winzigen Raum zu erreichen, und sich dabei an zwanzig Mann vorbeikämpfte. Er war ein unglaublicher Kämpfer! Wie herrlich würde er aussehen, während er sein Schwert nach allen Seiten schwang und einen nach dem anderen niederstreckte.
Dann würde er die Tür mit viel Getöse eintreten. Er würde eine ganze Weile auf der Türschwelle stehen, mit bebender Brust und Gott dankend, dass er sie lebend gefunden hatte. Schließlich würde er sich neben ihrer schmalen Pritsche auf ein Knie niederlassen, sie in die Arme nehmen und …
Klick. Klick. Klick.
Linnet wandte den Kopf zu dem Geräusch eines Schlüssels in einem Schloss. Das Herz blieb ihr stehen, als der Türriegel langsam zur Seite geschoben wurde.
38
»Jemand hat das Gerücht in die Welt gesetzt, Lady Linnet würde Hexerei betreiben«, sagte Mistress Leggett. »Schwarze Hexerei.«
Es war das dritte Mal, dass Jamie diese Worte hörte, seit er in London angekommen war und Linnets Haus verlassen vorgefunden hatte. Es hatte seit Monaten Gerüchte über Adelige der höchsten Kreise gegeben, die angeblich mit Hexerei und den schwarzen Künsten zu tun hatten, aber er hatte noch nie ein Wort davon in Verbindung mit Linnet gehört. Bis heute.
»Ich habe es keinen Augenblick geglaubt«, sagte Mistress Leggett und fächelte sich Luft zu, obwohl der Raum weit davon entfernt war, warm zu sein. Sie saß mit gespreizten Beinen da, und ihr massiger Körper quoll über den kleinen Schemel, auf dem sie saß. »Aber als eine Edeldame der Hexerei beschuldigt wurde, war mir klar, dass sie gemeint war.«
»Warum Linnet?«, fragte er.
»Sie verhält sich nicht so, wie Männer meinen, dass Frauen es sollten. Und sie hat den Männern nie bestätigt, dass sie alles besser wissen. Das reicht schon aus, um eine Frau in Gefahr zu bringen.« Mistress Leggetts Wangen wackelten, als sie nickte. »Glaubt mir, das ist so.«
Jamie tippte mit dem Fuß auf, doch Mistress Leggett beachtete seine Ungeduld nicht.
»Ich lobe Gott, dass ich nicht mit ihrer Schönheit geboren wurde«, sagte Mistress Leggett, während sie ihm Ale nachschenkte, ohne ihn zu fragen. Er unterließ es, sie zu schütteln, als sie sich selbst nachgoss und den Becher halb austrank. »Ein derart ungewöhnlich attraktives Aussehen kann Männer zu gefährlicher Leidenschaft verleiten.«
Mistress Leggett wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und fuchtelte mit ihrem dicken Zeigefinger vor Jamies Nase herum. »Wenn sie dann so einen Lüstling abweist, wird der Mann halb verrückt. Ihr könnt ein hübsches Sümmchen darauf wetten, dass er sie dafür verantwortlich machen wird. Als Nächstes behauptet er dann, sie hätte ihn verhext.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr wisst, wer hinter den Gerüchten steckt? Wer sie beschuldigt?«, fragte Jamie, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, dass sie ihm etwas Nützliches sagen könnte.
Sie spitzte die Lippen, während sie über eine Antwort nachdachte. »Alle Männer haben sie angestarrt, deshalb ist es schwer zu sagen, wer die Gerüchte verbreitet hat. Aber ich habe davon im Zunfthaus gehört. Dort würde ich an Eurer Stelle anfangen zu suchen.«
Um Gottes willen! Jeder Kaufmann aus London konnte das Zunfthaus besuchen. Jamie stand auf, um zu gehen.
»Aber natürlich wird Euch das nicht helfen, sie zu finden.«
Jamie war schon auf halbem Weg zur Tür und hielt mit angespannten Nerven noch einmal inne.
»Die Leute erzählen sich, sie hätte Wind davon bekommen, dass sie angeklagt würde, und hätte ein schnelles Schiff nach Frankreich genommen«, sagte Mistress Leggett. »Muss was Wahres dran sein, denn sie war weg, als die Wache vor zwei Tagen kam, um sie festzunehmen.«
Jamie kehrte zu Linnets Haus zurück, er war fest entschlossen, jeden Zentimeter davon zu durchsuchen. Master Woodley rang die Hände und folgte ihm auf den Fersen, während Jamie einen Raum nach dem anderen inspizierte.
Der Schreiber räusperte sich, als Jamie Linnets Hemden und Strümpfe durchwühlte. »Ist es richtig, dass Ihr ihre … persönlichen Dinge durchseht, Sir?«
»Verdammt!«, brüllte Jamie. »Sie muss doch hier irgendwo einen Hinweis hinterlassen haben!«
Er hatte überall nachgesehen, sogar unter den Bodendielen, um irgendetwas zu finden, was ihm verriet, wohin sie gegangen war oder wer sie
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