Mein geliebter Ritter
nicht wie Ihr.«
»Nicht? Was hat dich angetrieben? Liebe? Erbarmen?« Er stieß ein grobes Lachen aus. »Nein, du bist voller Hass – genau wie ich.«
Aber sie liebte. Sie wusste mit absoluter Gewissheit, dass sie ihr Leben geben würde, um François oder Jamie zu schützen.
Doch die brutale Wahrheit war, dass sie deren Glück nicht an erste Stelle stellte. Sie hatte vorgehabt, es zu tun, nachdem sie diejenigen bestraft hatte, die ihr Schmerzen zugefügt hatten. Jamies Worte fielen ihr wieder ein und schnürten ihr die Luft ab: Wahre Liebe kommt nicht zuletzt. Es ist nichts, an das man nach allem anderen denkt . Am liebsten hätte sie wegen ihrer Fehler geweint.
»Wenn du in die Finsternis wechselst, werden wir eins mit dem mächtigen Luzifer«, sagte Pomeroy, »und eins miteinander.«
»Wenn Ihr mir etwas zuleide tut, wir Jamie Rayburn Euch töten.« Ihre eigenen Worte überraschten sie, doch sobald sie sie ausgesprochen hatte, wusste sie, dass sie der Wahrheit entsprachen.
Pomeroys Finger wanderten zu einer tiefen Narbe an seiner Wange, die ihr vorher noch nie an ihm aufgefallen war. Als er sie mit den Fingerspitzen nachfuhr, verschlang er sie mit Blicken.
Dann warf er sich auf sie. Sie schrie und versuchte, ans andere Ende des Bettes zu kriechen, doch er packte sie und riss sie an sich. Ihr kam die Galle hoch, als er sie festhielt und sein Gesicht an ihres drückte, sodass sein schmieriges Haar an ihrer Wange klebte.
»Heute Nacht werde ich dich verhexen, und du wirst deinen Platz an meiner Seite einnehmen«, sagte er und blies ihr seinen Atem heiß ins Ohr. »Bis dahin werde ich dich bändigen müssen.«
»Jamie!«, schrie sie.
Das Tuch wurde in ihr Gesicht gedrückt, und der unverkennbare medizinische Geruch stieg ihr in die Nase und den Mund und betäubte ihre Lippen.
»James Rayburn wird bald tot sein«, raunte er in ihr Ohr. »Dann wirst du nicht mehr an ihn denken.«
40
Jamie ritt durch die Stadt und dachte an jenen Tag im November, als er und François gesehen hatten, wie sich Linnet an den fetten Ratsherrn in der Westminster Hall gepirscht hatte. An jenem Tag hatten er und Linnet auch ihre Affäre begonnen. Diese wenigen Tage in ihrem Londoner Haus hatten sein Schicksal besiegelt. Obwohl er versucht hatte, dagegen anzukämpfen, war er seither wie von ihr besessen.
Nein, er war ihr schon in Paris verfallen. Er hatte das Mädchen geliebt, das sich über die Gepflogenheiten hinwegsetzte und ihn hinter die Büsche zog. Das Mädchen, das ihm ins Gesicht sah und ihm sagte, sie liebe es, von ihm berührt zu werden. Das Mädchen, das die Versuche ihres Vaters, sie zu bändigen, ignorierte und sich weigerte, seinen Erwartungen zu entsprechen.
Doch das Mädchen war nichts im Vergleich zu der Frau, zu der Linnet geworden war. Sie war unerschütterlich in ihrer Treue, ehrfurchtgebietend in ihrer Entschlossenheit, mutig, schlau und originell. Niemand konnte ihr das Wasser reichen. Gott hatte ihm eine zweite Chance mit diesem schönen Racheengel gegeben, und was hatte er getan? Er hatte sie beim ersten Anzeichen von Ärger im Stich gelassen.
Bitte, Gott, lass sie mich finden. Wenn ihm das erst einmal gelungen war, würde er sie nie wieder aus den Augen lassen.
»Master Woodley«, rief er über die Schulter dem Schreiber zu, der ihm auf einem armseligen Maultier folgte, »wo genau befindet sich das Haus des Ratsherrn Arnold?«
»Nicht weit vom Zunfthaus der Sattler und Saint Paul’s.«
Als sie das Haus des Ratsherrn erreichten, ein wohlhabend wirkendes dreistöckiges hölzernes Gebäude, beharrte der Diener, der die Tür öffnete, Arnold sei nicht zu Hause.
Jamie schob sich an ihm vorbei. »Das will ich selbst sehen.«
»Sir, Ihr könnt nicht …«
»Martin, halte ihn fest, solange ich mich umsehe«, befahl er, ohne sich umzudrehen.
Andere Diener verfolgten ihn, als er auf der Suche nach seinem Opfer von Zimmer zu Zimmer ging; keiner machte den Fehler zu versuchen, ihn aufzuhalten.
Als er das größte Schlafzimmer im zweiten Stock betrat und auch dieses leer vorfand, fluchte er verärgert: »Verdammt, wo steckt diese überreife Schnepfe?«
Er drehte sich um und sah ein kess wirkendes Dienstmädchen im Türrahmen lehnen. Sie warf einen schiefen Blick auf das hölzerne Bett und deutete auf den Boden. Jamie nickte ihr dankend zu und gab ihr ein Zeichen zu gehen. Dann ließ er sich auf ein Knie nieder, griff unters Bett und zog den Ratsherrn an seinem Nachthemd heraus.
»Um Himmels willen, Ihr
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