Mein glaeserner Bauch
Mutterpass empfohlen hatte.
Ihr Schweigen begann mir langsam unheimlich zu werden, als sie sich mir endlich wieder zuwandte. Schon ihr veränderter Gesichtsausdruck machte mir Angst, er verhieß schlechte Nachrichten. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen. Sie hatte ein Ödem entdeckt, eine Schwellung durch Flüssigkeitsansammlung unter der Nackenhaut meines Kindes.
Die Frauenärztin war ernst und engagiert, als sie mir ihren Befund mitteilte. Als sie ihren Verdacht auf Trisomie 21 durch einen Spezialisten abzuklären empfahl. Als sie mich belehrte über die vielfältigen Schäden, die ein Kind mit Down-Syndrom zu erwarten habe.
»Ich lasse Sie einen Moment allein«, sagte die Ärztin danach und verschwand im Nebenzimmer. Ich war verwirrt. Was erwartete sie jetzt von mir? Sollte ich mich ganz schnell beruhigen, sie auf keinen Fall mit meinen Gefühlen belästigen? Was hatte sie mir da gerade erzählt? Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Verdacht auf Trisomie 21. Down-Syndrom.
Als sie zurückkam, hatte sie für den nächsten Tag einen Termin mit einem Spezialisten vereinbart. Einem Kollegen mit hoch auflösendem Ultraschallgerät. Einem Punkteur, spezialisiert auf Fruchtwasseruntersuchungen. Einem, der sich auskannte mit Nadeln. Amniocentesen und Chorionzottenbiopsien. Sie drückte mich an ihr Chanelkostüm, und ich war so durcheinander, dass ich befürchtete, mein Lippenstift könnte Spuren auf dem feinen Wollstoff hinterlassen.
Draußen vor der Praxis konnte ich das geschäftige Treiben in der Fußgängerzone kaum ertragen und flüchtete in eine kleine Kirche in der Nähe. Es zog mich direkt zu einer waagerecht hängenden Skulptur im linken Seitenschiff. Einer menschlichen Gestalt, die wie ein flügelloser Engel jenseits von Zeit und Raum zu schweben scheint. Über einer Steinplatte mit den Jahreszahlen 1914–1918 und 1939–1945. Die Zeit war für mich stehen geblieben.
Meine Gedanken kreisten um die Untersuchung. Dass schon dieser Test dazu dienen würde, frühzeitig nach Chromosomenabweichungen zu fahnden, hatte ich nicht gewusst, als ich dem Ultraschall zugestimmt hatte.
Regungslos saß ich da, ich weiß nicht, wie lange. Auf gar keinen Fall konnte ich jetzt zurückgehen in die Redaktion, weitermachen, als sei nichts geschehen, meine Angst hinter einer professionellen Maske verbergen. Klaus würde erst in fünf Stunden zuhause sein, erreichen konnte ich ihn vorher nicht.
Irgendwann saß ich wie benommen in unserem Wohnzimmer auf meinem roten Sofa und wusste, ich muss jetzt dringend in der Redaktion anstehende Aufgaben delegieren. Beratungstermine mit meinen Klienten musste ich auch absagen, aber erst, wenn ich in einer besseren Verfassung war. Morgen, vielleicht übermorgen.
In Deutschland wurde 1979 als erstem Land der Welt die Ultraschalluntersuchung als Routineuntersuchung in der Schwangerschaft eingeführt. Die Geschichte der Pränataldiagnostik ist eng verknüpft mit der historischen Entwicklung des Ultraschalls. Das Prinzip: Über einen Schallkopf ausgesendete Schallwellen werden zurückgeworfen und in ein Bild umgesetzt. Schon seit den vierziger Jahren wurde dieses bildgebende Verfahren vereinzelt in der Medizin eingesetzt und machte im Körper bisher Verborgenes ohne Strahlenbelastung sichtbar. In der Frauenheilkunde wendete erstmals der britische Gynäkologe Ian Donald die Sonographie an. 1958 publizierte er erste undeutliche Ultraschallaufnahmen von Kindern im Mutterleib.
Die zu Anfang schlechte Bildauflösung verbesserte sich in den siebziger und achtziger Jahren ganz erheblich. Als Erfolg wurde allerdings zunächst schon angesehen, wenn man Zwillinge eindeutig vor der Geburt entdeckt hatte. Die weitere Entwicklung der Computertechnologie ermöglichte schließlich eine immer höhere Bildauflösung und darüber hinaus einen immer schnelleren Bildaufbau.
Beim Ultraschall werden die Schallwellen durch den Körper gesendet und je nach Dichte des Gewebes unterschiedlich reflektiert. Flüssigkeiten erscheinen dabei auf den Monitoren schwarz, als ein nahezu echofreier Zwischenraum. Auf dem Ultraschallbild sieht es dann aus, als sei der Körper an dieser Stelle transparent.
Anfang der neunziger Jahre entdeckte man durch verbesserte Bildauflösung, dass bei allen Kindern in der zwölften bis vierzehnten Schwangerschaftswoche ein lang gestreckter, schwarzer Zwischenraum im Bereich des Nackens zu sehen ist. So kam der Ausdruck Nackentransparenz zustande.
Beim sogenannten
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