Mein glaeserner Bauch
auf invasive Diagnostik verzichtet. Hatte das Angebot der Ärztin zur Fruchtwasseruntersuchung oder Chorionzottenbiopsie abgelehnt. Und trotzdem war ich jetzt mittendrin im Strudel der Pränataldiagnostik. Denn eine beim Ultraschall festgestellte erhöhte Nackentransparenz gilt als sogenannter Softmarker. Als ganz und gar nicht sanfter Hinweis auf Chromosomenabweichungen. Und manchmal auch auf einen Herzfehler des Ungeborenen.
Die Ärztin hatte ohne mein Wissen bei meinem Kind nach einem dorsonuchalen Ödem gesucht. Dorso bedeutet Rücken, nuchal auf den Nacken bezogen. Ein Ödem ist eine Schwellung des Gewebes aufgrund einer Einlagerung von Flüssigkeit. Wahrscheinlich fühlte sie sich völlig im Recht. Denn immerhin war dies die einzige der möglichen »Auffälligkeiten« beim Ultraschall, die bis 2009 im Mutterpass als Beispiel genannt wurde.
Dorsonuchales Ödem . In einer noch früheren Version des Mutterpasses existierte dieser Eintrag sogar als eigenständiger Dokumentationspunkt. Nicht lediglich als beispielhafte Nennung von ansonsten nicht näher bezeichneten weiteren Auffälligkeiten.
Direkt neben der Rubrik »Auffälligkeiten« steht im Mutterpass die Frage, ob eine Konsiliaruntersuchung veranlasst worden sei. Also war die automatische Überweisung zum Feinultraschall bei dem Kollegen meiner Gynäkologin, dem Spezialisten für Chorionzottenbiopsie und Amniozentese, ebenfalls Teil der Routine, die zum Ultraschall-Screening im ersten Schwangerschaftsdrittel gehörte.
Seit September 2009 gibt es einen neuen, überarbeiteten Mutterpass mit zahlreichen Änderungen und Ergänzungen, wie zum Beispiel einer Beratung der Schwangeren zur Ernährung, zum HIV -Antikörpertest und zur Zahngesundheit. Geändert wurden auch »spezifische Inhalte der Ultraschalluntersuchung«, wie es, nahezu diskret, in der Presseerklärung des Beschlussgremiums heißt. 27 Gemeint ist mit den »spezifischen Inhalten« vor allem die Löschung des Begriffs »dorsonuchales Ödem«.
Hinter dieser Änderung verbirgt sich eine heftige Auseinandersetzung darüber, ob routinemäßig gezielt nach Anzeichen für Chromosomenabweichungen gesucht werden darf, ohne die Schwangere vorher über die möglichen Konsequenzen aufzuklären.
Dieser Streit um das sogenannte Ersttrimester-Screening spielte eine ganz besondere Rolle beim Gesetzgebungsverfahren zum Gendiagnostikgesetz. In einer Stellungnahme der Bundesärztekammer zur geplanten Änderung des Mutterpasses wird in diesem Zusammenhang eingeräumt, dass der Begriff Ersttrimester-Screening »durchaus irreführend« sei und leider manchmal als »harmlose Ultraschalluntersuchung« bagatellisiert werde, obwohl gerade die nicht-genetischen vorgeburtlichen Untersuchungen zu erheblichen Konfliktsituationen führten.
Bei Ärzten, welche die Vorsorgeuntersuchungen durchführen und im Mutterpass eintragen, könne die spezielle Nennung »dorsonuchales Ödem« durchaus den Eindruck erweckt haben, der Ultraschall am Ende des ersten Trimesters beziehe sich routinemäßig auch auf die gezielte Beurteilung der fetalen Nackenregion. Und das mögliche Missverständnis wäre deshalb naheliegend, die sogenannte Nackentransparenzmessung sei obligatorisch. Sei ein übliches Verfahren nach den Mutterschaftsrichtlinien, um eine Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Down-Syndroms abzuleiten. Die Bundesärztekammer betont, dass eine konsequente Regelung der Gesamtproblematik dringend geboten sei, regt allerdings vorsorglich an, dies nicht zum Gegenstand des geplanten Gendiagnostikgesetzes zu machen. 28
Dieses Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen ist inzwischen in Kraft getreten – am 1. Februar 2010. Es soll bei gendiagnostischen Tests das informationelle Selbstbestimmungsrecht von Personen stärken sowie vor Missbrauch der hier erlangten Ergebnisse schützen. 29 Das Gendiagnostikgesetz war eins der letzten Gesetzgebungsprojekte der Großen Koalition. Nach einer Vorgeschichte, die mindestens bis ins Jahr 2001 zurückreicht, sowie begleitenden internationalen und interdisziplinären Diskussionen wurde es nach mehreren Entwürfen am Ende im parteiübergreifenden Konsens verabschiedet.
Wie für alle in diesem Gesetz geregelten genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken gilt auch für die vorgeburtliche genetische Diagnostik, dass sie nur vorgenommen werden darf, »wenn die betroffene Person in die Untersuchung und die Gewinnung der dafür erforderlichen genetischen Probe ausdrücklich und
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