Mein glaeserner Bauch
der Präimplantationsdiagnostik an Embryonen, die außerhalb des Mutterleibs erzeugt wurden und vor dem Einsetzen in die Gebärmutter geprüft werden, sind hier erläutert. Die Pränataldiagnostik kommt beim Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften ( DRZE) allerdings als eigener Schwerpunkt nicht vor.
Soll das heißen, es gibt keine aktuellen medizin- und bioethischen Debatten zu diesem Thema? Pränataldiagnostik geht heute alle schwangeren Frauen an. Betroffen sind auch die Väter. Warum werden ihre Belange beim DRZE nicht stärker wahrgenommen? Immerhin ist das DRZE ein nationales Informations- und Dokumentationszentrum für den gesamten Bereich der Ethik in den biomedizinischen Wissenschaften in Deutschland und hat die Aufgabe, die normativen Grundlagen einer qualifizierten Urteilsbildung wissenschaftlich zu erarbeiten und in verschiedenen Formaten bereitzustellen. Es wurde in der Aufbauphase mit Bundesmitteln finanziert und bekommt weiterhin Forschungsgelder aus öffentlicher Hand. Wie kann hier Pränataldiagnostik zu einer Fußnote von Präimplantationsdiagnostik degradiert werden?
Ein Vorbefund aus dem Labor wurde schon am nächsten Tag per Fax an meine Gynäkologin geschickt. Der Chromosomensatz war männlich. Leon, nicht Lea. Im Bericht liest sich das so:
Untersuchungsmaterial: Chorionzotten
Karyotyp: 47, XY+21
Beurteilung: männlicher Chromosomensatz mit durchgehender freier Trisomie 21 (Down-Syndrom)
Ärztliches Gutachten: Die Analyse aus der Direktpräparation der Zotten ergab ausnahmslos Metaphasen mit einem zusätzlichen Chromosom 21. Die Ergebnisse nach Langzeitkultur folgen, sind aber für die Bewertung ohne entscheidende Relevanz.
Die Vermutung der Ärztin hatte sich bestätigt. Trisomie 21, Down-Syndrom. Ein Kind mit schwersten körperlichen und geistigen Behinderungen, erklärte sie mir. Mit erheblichen Organschäden. Ein Kind, das vielleicht als Erwachsener noch wie ein Baby gewickelt werden müsse. Das könne ich doch nicht wollen. Und wie alt ich dann schon sein würde. Und mich immer noch kümmern müsste.
Wieder fühlte ich mich unerträglich unter Druck gesetzt. Ich argumentierte verzweifelt, dass es doch Menschen gebe, die mit Down-Syndrom lebten. Mütter, die ihre Kinder so liebten, wie sie sind. Familien, die auch ihre kranken Angehörigen nicht im Stich ließen.
Ja, manchmal würde man erst nach der Geburt feststellen, dass ein Kind mit Down-Syndrom auf die Welt gekommen sei. Und ja, die kleinen Mongölchen seien besonders sanft und liebenswert. Aber bei mir sei das anders, viel schlimmer, da die Probleme ja jetzt schon so deutlich sichtbar seien. Das habe ja schon der Ultraschall gezeigt.
Die Ärztin teilte die Einschätzung ihres Kollegen, dass der Fötus aufgrund der Ödeme kaum Überlebenschancen habe und mahnte zur Eile. Wenn es jetzt schnell gehe mit dem Abbruch, würde mir erspart bleiben, eine richtige Geburt ertragen zu müssen. Ich spürte, dass sie versuchte, mich mit dieser Aussicht zu beruhigen.
Es sei auch nicht ganz einfach, einen Termin in einer Klinik zu bekommen, denn die katholischen Krankenhäuser der Stadt stünden für Schwangerschaftsabbrüche nicht zur Verfügung. Und sie selbst sei übrigens ab nächster Woche in Urlaub.
Ich zitterte. Niemand, niemand machte mir Hoffnung, dass mein Kind eine Chance hätte. Ich hatte offensichtlich keine Wahl.
Als die Ärztin von ihrem Telefonat aus dem Nebenzimmer zurückkam, wirkte sie erleichtert. Sie hatte auf dem kurzen Dienstweg ein Bett in der Klinik für mich bekommen. Für den folgenden Montag. Ich fühlte mich ohnmächtig, und ich schämte mich. Ich hatte dem Abbruch zugestimmt.
Mit einem schlampig ausgefüllten Mutterpass, in dem nicht einmal meine Adresse stimmte, und mit einer Einweisung in die Klinik wurde ich fortgeschickt.
Verzweifelt versuchte ich gemeinsam mit Klaus, irgendwie zu begreifen, dass wir unser Kind wieder hergeben sollten. Dass wir uns einem schweren Schicksal beugen mussten. Und ich wünschte mir, halb verrückt vor Schmerz, dass die Seele unseres Kindes dem Abbruch zustimmen könnte.
Ich war wie gelähmt von den niederschmetternden Prognosen. Die Ärzte hatten mich einem Sturm ausgesetzt, in dem meine Gefühle und meine Handlungsfähigkeit erstarrt waren. Keiner hatte mir Informationen angeboten, die ich abwägen konnte und die Raum ließen für solch eine lebenswichtige Entscheidung. Eine Entscheidung, die wir treffen und mit der wir für den Rest unserer Tage
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