Mein glaeserner Bauch
abgeschnitten zu sein von ihrem bisherigen Leben. In ihrer Vorstellung wäre ein solches Kind ein Verhängnis, das sie völlig überfordern und überwältigen würde. Und sie fürchten, dieses Kind gar nicht lieben zu können. 44
Diese Ängste, so die Studie, beruhen nicht auf realen Erfahrungen, sondern dahinter verbergen sich allgemeine Sorgen und Bilder, die in unserer Gesellschaft oft mit Schwangerschaft und Elternsein verbunden sind. Angst davor, Beruf und Familie nicht vereinbaren zu können. Den Anforderungen als Eltern nicht zu genügen. Aus dem Freundeskreis herauszufallen. Die Partnerschaft zu belasten. Und Ähnliches.
Die körperlichen, emotionalen und sozialen Veränderungen, die mit jeder Schwangerschaft einhergehen, werden also wie mit einem Brennspiegel auf die eine Frage gerichtet: Ist mein Kind behindert? Und an die Pränataldiagnostik wird dann die unbewusste Erwartung geknüpft, durch diese Untersuchungen sicherer zu werden, dass das Elternsein gelingen kann. Eine technologische Bewältigungsstrategie für einen emotionalen, einen psychosozialen Konflikt.
Weder meine Familie noch Freunde fanden Worte, die ich als hilfreich annehmen konnte. Wie sollten sie auch. Ich war im Schockzustand und hatte mich in mich selbst zurückgezogen, tief verbunden mit meinem ungeborenen Kind. Du wirst das Richtige tun, sagten die einen. Versuche alles ganz schnell zu vergessen, die anderen.
Auch Klaus war von den eindringlichen Warnungen des Arztes nicht mehr abzubringen, dass unser Kind wahrscheinlich die Schwangerschaft nicht überleben oder schwerstbehindert zur Welt kommen würde. Und er glaubte an eine gesundheitliche Bedrohung für mich. Klaus machte sich inzwischen sogar mehr Sorgen um mich als um unser Kind.
Ich kann nicht erklären, warum ich nach dem Wochenende auf dem Land bereit war, der Punktion doch zuzustimmen. Dem Druck nachzugeben. Dem Arzt zu erlauben, mit einer Nadel durch meine Bauchdecke in die Gebärmutter zu stechen und eine Gewebeprobe aus der Plazenta nahe dem Nabelschnuransatz zu entnehmen. Genau dort, wo mein Kind sich nährte. Chorionzottenbiopsie . Instrument: TA 17-19G Nadel, steht im Bericht.
Vielleicht hoffte ich immer noch, dass die Ärzte sich getäuscht hatten, dass sie selbst zugeben müssten, dass alles nicht so schlimm war, wie sie mir einzureden versuchten. Wieder konnte ich mein Kind überlebensgroß auf dem Monitor sehen.
Ich spürte den knirschenden Schmerz des Einstichs und sah die Nadel neben dem Kind auf dem Flachbildschirm. Bis ich vor Entsetzen die Augen schloss. Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich fühlte mich mutterseelenallein.
Ich hatte Klaus versichert, dass ich den Termin ohne ihn wahrnehmen könne. Jetzt wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Schon im Wartezimmer konnte ich es kaum aushalten. So viele Frauen und Paare, schlechte Luft, zerfledderte Zeitschriften. Lange, quälende Wartezeit auch hier, trotz Terminvereinbarung. Mit Hochschwangeren in einem Raum. Frauen guter Hoffnung. In anderen Umständen als ich.
Im Befundbericht, den der Arzt an meine Gynäkologin schickte, steht:
Gestationsalter: 13 Wochen + 4 Tage.
Herzaktion positiv, Herzfrequenz 174 spm.
Fruchtwasser unauffällig.
Die Diagnose lautete jetzt:
Verdacht auf Chromosomendefekt bei Hydrops fetalis, Parvovirus negativ. Weiteres Vorgehen: Entscheidung über das Procedere nach Vorliegen der Genetik.
Innerhalb von vier Tagen war der Kopf unseres Kindes um zehn Prozent gewachsen. Gemessen wurde der Kopfdurchmesser von Schläfe zu Schläfe.
Biparietaler Durchmesser (BPD): 27,0 mm.
Der Arzt erklärte mir noch einmal, dass mein Kind nur geringe Überlebenschancen habe. Die Ödeme, durch die die Haut des Fötus deutlich vom Körper abgehoben sei, führten häufig zu Spontanaborten oder Totgeburten, sagte er.
Spontanabort, was für ein grässliches Wort. Besser geeignet als Bezeichnung für schmutzige öffentliche Toiletten.
War das schon das Todesurteil: Geringe Überlebenschancen? Warum hilft mir keiner? Ich hab doch mein Kind gerade noch gesehen. Es lebt!
Der Arzt weist mich an, mindestens eine halbe Stunde im Ruheraum der Praxis zu liegen, damit es nicht wegen des pränataldiagnostisch-invasiven Eingriffs zum Spontanabort kommt. Eine Sprechstundenhilfe führt mich hin und zieht den Vorhang neben meiner Pritsche zu: »Bleiben Sie ruhig liegen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
Kurz darauf wird eine schwangere Frau mit ihrem Partner direkt neben mir in die Bedienung eines Geräts
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