Mein glaeserner Bauch
Pränataldiagnostik »gesundheitsökonomisch notwendig zur Kostenreduktion im Gesundheitswesen« sei und dass das Gesundheitswesen ohne Pränataldiagnostik zusammenbräche. 55
Wie stolz die Kölner auf ihre Erfolgsquoten in der Pränataldiagnostik sind, wurde auf einer Ultraschalltagung 2001 in Erfurt deutlich. Der damalige Leiter des Bereichs Pränatalmedizin und gynäkologische Sonographie der Klinik, Rainer Bald, hielt in Erfurt einen Vortrag zum Thema Nackentransparenz. 56
Es ging unter anderem um Berechnungsmodelle und Computerprogramme, die beim Ersttrimester-Screening zum Einsatz kommen. Und schon im Grußwort zur Tagung wurden die Themen Ersttrimester-Screening, ärztliche Haftung und Honorare in den Mittelpunkt gestellt:
Im Rahmen unserer pränatalen sonographischen Diagnostik werden wir immer mehr gefordert. Es nehmen die Haftungsprozesse zu, aber nicht die Honorierung unserer Leistungen.
Aufgrund der möglichen juristischen Fallstricke eines späten Schwangerschaftsabbruchs wird der zeitliche Rahmen der Entscheidungsfindung für oder gegen das Austragen einer Schwangerschaft beim Nachweis einer schweren Fehlbildung immer enger.
Bietet das Ersttrimester-Screening eine Alternative, und wo liegen die Grenzen? 57
Die Präsentationsfolien des Vortrags von Rainer Bald zur Nackentransparenzmessung sind sehr aufschlussreich. In einer Karikatur stellt ein mittelalterlicher Höfling seinem König einen Abakus vor, eine Rechenmaschine aus Holzperlen für Kinder. Bunte Holzperlen, die man hin- und herschieben kann. Am Holzrahmen aufgehängt ist ein graues Nagetier an seinem Mauseschwanz. Der zur Folie 110 gehörende Text stellt die Verbindung zum Tagungsinhalt her: »Die neueste Rechnergeneration, sechzehn Farben, auf Festplatte montiert, inklusive Maus«.
Danach erst erscheint die inhaltlich relevante Information, eine Statistik. Von dreitausend untersuchten Frauen über fünfunddreißig im Bereich Köln und Bonn waren im Untersuchungszeitraum nur fünf Fälle von Trisomie 21 unerkannt geblieben. Fünf von dreitausend. Und eine der fünf Frauen, deren Kind schon beim Ultraschall auffällig war, hatte die üblicherweise folgende genetische Untersuchung abgelehnt. Sonst wären es lediglich vier unerkannte Fälle von Down-Syndrom bei dreitausend Schwangeren gewesen.
Zitiert wird zudem Fachliteratur mit der Aussage, dass nur eins von drei Kindern erkennbare Anomalien im Mutterleib aufweise. Der Triumph angesichts des Erfolgs der Kölner ist unverkennbar. Unter der Überschrift »Gefahr erkannt – Gefahr gebannt« zeigt die nächste Folie das blutige Sägeblatt einer Kreissäge, beklebt mit einem Heftpflaster.
Ein ernstes Thema und seine launige didaktische Umsetzung. Ob der Vortragende angesichts der Folien selbst gelacht hat, ist nicht überliefert.
Hat eigentlich schon einmal jemand ausgerechnet, wie der flächendeckende Einsatz von Pränataldiagnostik gesundheitsökonomisch zu Buche schlägt?
E rster Juli, der dritte Tag in der Klinik. Mozart begleitet mich durch schwere Stunden. Das Klarinettenkonzert hilft mir zu glauben, mein Leben sei eingebettet in etwas Größeres. Leon und ich halten verzweifelt aneinander fest. Um uns herum ein übermächtiges System, dem ich mich ausgeliefert fühle.
Zur künstlichen Einleitung der Geburt schwört die Ärztin im Praktikum jetzt auf Prepidil Gel, das sie statt der normalerweise schon Wehen auslösenden Tabletten eingeführt hat.
»Keine Sorge, bald ist es so weit«, sagt sie nüchtern. Sie ist sich ihres Erfolges sicher, auch wenn ich ihr noch so bedrückt sage, dass ich mich nicht darauf freue.
Heute habe ich Leon zum ersten Mal in meinem Leib gespürt. Ich war am späten Vormittag endlich wieder eingeschlafen, bewusst bemüht darum, der quälenden Warterei zu entfliehen. Als ich aufwachte, lag ich eingerollt auf meiner rechten Seite und spürte eine unbekannte Verhärtung links oben im Bauch. Wie ein handgroßes Ei. Mir kam es vor, als habe mein Kind sich, während ich schlief, so weit wie möglich vom vergifteten Muttermund entfernt.
»Bitte«, flehte ich die Schwester an, »ich halte das nicht mehr aus. Gibt es hier niemanden, mit dem ich sprechen kann?«
»Soll ich Ihnen einen Seelsorger schicken?«
»Keinen Pastor. Gibt es keinen psychosozialen Dienst, jemanden, der therapeutisch ausgebildet ist?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, versprach sie. Und hielt meine Hand. Ein paar Minuten. Ließ mich weinen. Saß neben meinem Bett und hielt
Weitere Kostenlose Bücher