Mein glaeserner Bauch
diskutiert. Am 29.6. begannen wir dann auf dringlichen Wunsch der Patientin die Schwangerschaftsunterbrechung.
Auf dringlichen Wunsch? Ausführlich diskutiert? Mein Name steht im Bericht. War ich wirklich dabei?
Und wie ist es möglich, dass Mediziner von einer Schwangerschaftsunterbrechung sprechen? Hier wurde nichts unterbrochen, was später fortgesetzt werden konnte. Der Tod eines Ungeborenen ist keine Unterbrechung.
Aber vielleicht wird an diesem Euphemismus deutlich, wie weit die Verdrängung geht. Wie groß der Tabubruch tatsächlich ist, wenn Ärzte töten. Sprachliche Verschleierung des Unaussprechlichen, das sich dahinter verbirgt.
Klaus kam am nächsten Tag ohne Blumen in die Klinik. Irgendwie konnte ich das verstehen, denn es gab weder ein freudiges Ereignis zu feiern, noch wären Genesungswünsche angebracht gewesen. Selbst der klinische Direktor hatte in seinem Begrüßungsschreiben nur an zwei Alternativen gedacht.
Sie sind in unsere Klinik gekommen, um sich wegen einer Krankheit behandeln zu lassen oder um Ihr Kind zur Welt zu bringen.
Eine Abtreibung hatte hier wahrscheinlich eher den Status des Ambulanten. Spätestens am nächsten Tag war man wieder zuhause. Vorbei. Vergessen. Tabu.
Da bei mir jedoch auch am zweiten Tag noch nichts passiert war, die Tabletten noch keine Wehen ausgelöst hatten, legte die junge Ärztin Medikamente in meiner Scheide nach. Die Verzögerung des Ergebnisses nahm sie anscheinend sportlich.
»Heute klappt’s bestimmt«, sagte sie munter.
Ich war bedrückt und hätte etwas mehr Verständnis gut gebrauchen können. Aber sie machte ja auch nur ihren Job.
War sie wirklich so kalt, wie sie sich gab, oder schützte sie sich damit vor ihren eigenen Gefühlen, die sie sonst nicht gut ertragen hätte? Machte sie diese Arbeit gern? Schon routiniert, trotz ihrer wenigen Berufsjahre? Oder spornte sie sich mit ihrer sportiven Haltung selbst an? Unterdrückte sie jede Emotion, um die beruflichen Belastungen nicht unnötig zu erhöhen?
Ich musste an einen Streit denken, den ich Jahre zuvor mit einem Freund gehabt hatte, der als Anästhesist in einer Klinik arbeitete. Er äußerte sich damals abfällig über schwer verletzte Motorradfahrer und über Frauen, die zur Abtreibung in die Klinik kamen. Denn er war davon überzeugt, dass viele dieser Fälle, mit denen er im Klinikalltag zu tun hatte, das Ergebnis von Dummheit und Leichtsinn waren. Erst am Ende unseres Streits und meiner Empörung über seine Einstellung konnte ich erkennen, was sich vermutlich hinter seiner Vorwurfshaltung verbarg. Das menschlich oft Unzumutbare seines Berufs. Die Not, die auch ärztliches Personal immer wieder erlebt, wenn schwere Krankheit, Leid und Tod unabwendbar werden. Wenn Ängste und Verzweiflung nicht mehr mit medizinischen Mitteln zu bewältigen sind.
Klaus hatte mir Bücher und klassische Musik mitgebracht. Ich hatte ihn am Telefon darum gebeten, weil ich mir Trost davon versprach. Und er brachte mir Grapefruitsaft. Ich spürte, er wollte alles richtig machen. Wollte gut für mich sorgen. Und konnte doch nur abwarten, genau wie ich. Er sah müde und unglücklich aus.
Klaus hatte sich zu mir aufs Bett gelegt und hielt mich liebevoll im Arm, als die Stationsschwester hereinkam. Meinen Kopf auf seiner Schulter, hatte ich mich an ihn geschmiegt. Jetzt schreckten wir beide hoch. Vielleicht war ein Mann auf dem Bett schon gegen die hier herrschenden Regeln. Regeln, um sicherzustellen, dass alles reibungslos klappt.
Die große Zahl unserer Patienten erfordert zwangsläufig von jedem Einzelnen ein besonderes Maß an Anpassungsfähigkeit.
Die Schwester ging leise wieder hinaus. Diskret zeigte sie Verständnis. Ohne Worte.
Draußen regnete es schon seit Stunden. Aus meinem Fenster im vierten Stock konnte ich nicht einmal Bäume sehen. Nur graue Waschbetonplatten. Kieselsteine auf einem hässlichen Flachdach. Und ringsum Kliniktrakte. Eine große Krankenfabrik. Dienstleistung am Fließband.
Ich wusste, auch Klaus war vollkommen durcheinander und versuchte, mir zuliebe zu funktionieren, blieb länger als er ertragen konnte, wollte mich unterstützen, und zählte die Stunden, die er im Krankenhaus verbrachte, um sich zu vergewissern, dass er irgendetwas beitrug zur Linderung meiner Not.
Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität zu Köln, Peter Mallmann, wird in einer großen deutschen Tageszeitung mit der Aussage zitiert, dass
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