Mein glaeserner Bauch
2010 zumindest vorschreibt, betroffenen Eltern mehr Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen.
Die sogenannte embryopathische Indikation gibt es also seit 1995 nicht mehr. Doch dies hat Kindern mit Fehlbildungen keineswegs mehr Schutz gebracht, denn die embryopathische Indikation wurde gewissermaßen in der medizinischen Indikation versteckt. So heißt es zum entsprechenden Suchbegriff beim Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften auch schlicht:
Wenn nach Durchführung einer Pränataldiagnostik das Vorliegen einer Chromosomenanomalie oder einer Fehlbildung des Kindes im Mutterleib diagnostiziert wurde, dann gilt dies in Deutschland als medizinische Indikation für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch nach §218a des Strafgesetzbuches (StGB). 51
Die Intentionen, die mit der Abschaffung der embryopathischen Indikation verbunden waren, sind letztlich ins Leere gelaufen, denn es bleibt dem Arzt überlassen, die zu erwartende Behinderung des Kindes wie eine lebensbedrohliche Erkrankung der Schwangeren zu behandeln. Bis 2010 sogar mit dem Nebeneffekt, dass von einer Beratungspflicht – wie sonst bei Abtreibungen üblich – abgesehen wurde.
In Bezug auf die Beratungserfordernisse bestand für ein Kind im Mutterleib bis dahin also mehr Schutz vor einem Schwangerschaftsabbruch, wenn es erwartungsgemäß gesund, aber unerwünscht, als wenn es voraussichtlich behindert war. Der Gedanke an eine, wenn auch wohl unbeabsichtigte, pränatale Diskriminierung behinderter Menschen liege hier nicht fern, sagt der Humangenetiker Wolfram Henn in einem Beitrag zu Pränataldiagnostik. 52
Während sich bei manchen vorgeburtlichen Untersuchungen auch Befunde mit therapeutischen Möglichkeiten und Konsequenzen ergeben können, erfolgt gerade das Ersttrimester-Screening nahezu ausschließlich mit der Begründung, Ungeborene mit Chromosomenabweichungen – vor allem solche mit Trisomie 21 – herauszufiltern. Darum heißt es meistens auch einfach Down-Syndrom-Screening .
Hildburg Wegener vom Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik kritisiert das Angebot des Frühscreenings daher auch als niedrigschwelligen Eintritt in eine flächendeckende selektive Diagnostik. 53 Selektion von Behinderten, bevor sie zur Welt kommen.
Dass Klaus und ich nicht umfassend beraten wurden, war auch damals schon – wie ich heute weiß – ein unzulässiges Versäumnis der mich behandelnden Ärzte. Denn ergebnisoffene, nichtdirektive Beratung von Schwangeren forderte schon 1998 die Erklärung der Bundesärztekammer zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik:
Die Schwangere kann eine Entscheidung darüber, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung zieht, nur dann in verantwortungsvoller Weise treffen, wenn sie umfassend aufgeklärt und beraten worden ist. Ärzte haben ohne eingehendes Gespräch mit der Schwangeren keine Grundlage für die Indikationsstellung. Die Beratungen müssen ergebnisoffen und nichtdirektiv erfolgen. Die Teilnahme des Vaters an der Beratung ist wünschenswert. Folgende Aspekte sind zunächst Gegenstand der Beratungsgespräche mit Ärzten entsprechender Fachgebiete:
Erläuterung des Befundes,
die Art der Erkrankung, Entwicklungsstörung oder Anlageträgerschaft für eine Erkrankung,
die möglichen Ursachen der Erkrankung, Entwicklungsstörung oder Anlageträgerschaft für eine Erkrankung,
das zu erwartende klinische Bild mit dem Spektrum der Manifestationsformen und möglichen Schweregrade,
die therapeutischen Möglichkeiten,
die möglichen Folgen der Erkrankung, Entwicklungsstörung oder Anlageträgerschaft des Kindes für eine Erkrankung, für das Leben der Schwangeren und ihrer Familie,
das Erleben und die Einschätzung der Erkrankung, Entwicklungsstörung oder Anlageträgerschaft für eine Erkrankung durch andere betroffene Personen,
medizinische, psychosoziale und finanzielle Hilfsangebote,
die Möglichkeiten der Vorbereitung auf das Leben mit dem kranken/behinderten Kind, auch im Hinblick auf das soziale Umfeld,
das Angebot der Vermittlung von Kontaktpersonen, Selbsthilfegruppen und anderen unterstützenden Stellen,
die etwaige Erwägung des Abbruchs der Schwangerschaft, wenn der beratende Arzt den Eindruck hat, dass die Voraussetzungen der medizinischen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB gegeben sind.
Erwägt oder wünscht die Schwangere den Abbruch der Schwangerschaft, sind folgende Aspekte Gegenstand weiterer Beratungsgespräche:
die formalen und rechtlichen
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