Mein glaeserner Bauch

werden, andere aber nicht. 95
    Das Definieren, Diagnostizieren und Patentieren von Genen ist ein großes Geschäft, weiß Silja Samerski und warnt vor den daraus entstehenden neuen Entscheidungszwängen unserer Zeit, vor einem ökonomischen Denkstil und unternehmerischen Entscheidungsstrategien auch bei Pränataldiagnostik. Und sie warnt vor der Konstruktion einer vorweggenommenen Zukunft. Einer Zukunft, die mit Hilfe von Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie berechenbar und verfügbar erscheinen soll.
    Könnte es nicht sein, so frage ich mich, dass es letztlich darum geht, Menschen insgesamt berechenbarer und verfügbarer zu machen? Indem man sie zu Kunden erzieht für immer neue Dienstleistungen und Untersuchungen, für Laborbefunde und Medikamente? Indem man Märkte schafft, die menschliches Leid als Rohstoff verwerten? Die Leid nicht verhindern, sondern käufliche Dienstleistungen zum persönlichen Risikomanagement anbieten?
    Der Depressionsforscher Florian Holsboer, Leiter des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, geht davon aus, dass Gene bei der Entstehung von Depressionen eine wichtige Rolle spielen. Selbst wenn er einräumt, dass sie wohl nur selten allein verantwortlich für das Entstehen der Krankheit sind. Genetische Veranlagung und äußere Einflüsse greifen ineinander.
    Die Zukunft der Depressionstherapie sieht Holsboer jedoch vor allem in der Entwicklung von Gentests und Biomarkern. Diese seien allerdings erst noch zu erforschen und sollen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Depression anzeigen, um in der Folge bessere Antidepressiva für erkrankte Patienten verfügbar zu machen. 96
    Natürlich geht es bei Forschungsaufträgen auch immer um die Akquise von Projektmitteln. Als Leiter einer gemeinnützigen Forschungseinrichtung arbeitet der Depressionsforscher zusätzlich als Unternehmer und Berater – für Firmen, die Antidepressiva herstellen. 97 Das übliche Modell: Grundlagenforschung aus Steuermitteln und privatwirtschaftliche Vermarktung.
    Was das alles mit Pränataldiagnostik zu tun hat? Nun, zum einen ist ein Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik für die meisten Eltern eine große psychische Belastung und kann noch Jahre später zu schweren Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen führen, wie es in der von der Europäischen Union geförderten Studie Ethical Dilemmas due to Prenatal and Genetic Diagnostics, zu Deutsch: » Ethische Dilemmata der pränatalen und genetischen Diagnostik« ( EDIG ), heißt. Wird die Genforschung, die behinderte Kinder schon im Mutterleib identifiziert, bald maßgeschneiderte Tabletten entwickeln, die helfen sollen bei der Bewältigung des Traumas einer Abtreibung nach Pränataldiagnostik?
    Die EDIG -Studie kommt zu komplexeren Antworten. Mögliche Schutzfaktoren gegen traumatisierende Folgen von Pränataldiagnostik sehen die Verfasser der Studie darin, wie die Partner und Familien der Schwangeren, aber auch wie die Fachleute aus Medizin und Beratung sich verhalten und welche Haltung in der Gesellschaft insgesamt zu diesem Thema besteht. 98
    Das ethische Dilemma, das mit einem problematischen Befund nach Pränataldiagnostik einhergeht, wird in unserer Gesellschaft nicht genug beachtet und bleibt für die Betroffenen oft unterschwellig vorhanden, so die Studie. Die Ambivalenz wird bleiben . Das hatte auch meine Gynäkologin schon prognostiziert.
    Manche Paare kommen besser damit zurecht als andere, schreiben die Verfasser von EDIG , besonders wenn sie kompetente Unterstützung von professioneller Seite erhalten. Anderseits sei mehr Forschung nötig, um herauszufinden, wer infolge traumatischer Erlebnisse durch Pränataldiagnostik besonders anfällig für psychische Störungen sei. Denn manchmal zeigten sich Krankheitsanzeichen auch erst Jahre nach der Entscheidung. 99
    Bisweilen frage ich mich im Stillen, ob wir vielleicht bald damit rechnen müssen, dass eine Veranlagung zu Depression als Gendefekt identifiziert wird. Gar mit den Methoden der Pränataldiagnostik nach diesen Genen bei Kindern gesucht wird. Damit nur noch garantiert emotional stabile Menschen zur Welt kommen. Menschen die alles wegstecken, egal wie erschütternd die Erlebnisse auch sein mögen. Am Arbeitsplatz hört man ja schon mal: »Sensibelchen können wir hier nicht gebrauchen.«
    Die Humangenetikerin Lisa Shaffer ist in den USA mehrfach als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet worden. Geehrt wurde sie unter anderem für den herausragenden wirtschaftlichen