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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Hey
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anderes: die käufliche Herstellung menschlicher Vollkommenheit. Den Menschheitstraum vom Jungbrunnen. Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Teure Placebos gegen die Angst vor dem Tod. Ein Ziel so unerreichbar wie die Quadratur des Kreises. Und ein geradezu unerschöpflicher Markt.
    Ein schöneres, besseres und längeres Leben wird Frauen versprochen, gesund, vital, voller Lebensfreude und Attraktivität. Und vielleicht passt es in unsere Zeit, wenn in der Selbstdarstellung der gynäkologischen Praxis der menschliche Körper mit einem Motor verglichen wird, dessen Verschleiß sich von außen beeinflussen lässt. Frauen wird deshalb von der Gynäkologin empfohlen, schon ab Mitte dreißig dem Alterungsprozess gezielt mit Vitaminen und Hormonen entgegenzuwirken. In Form von Cremes, Haarwasser, Tabletten oder Infusionen.
    Anti-Aging-Therapie in einer gynäkologischen Praxis. Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen, sondern von der Patientin privat gezahlt werden.
    Mit dem Appell an Frauen, ihre Selbstverantwortung für Wohlbefinden und Gesundheit ernst zu nehmen, werden ihnen zweifelhafte Produkte verkauft. Sie sollen wollen, was sie sollen.
    Geradezu selbstverständlich wird dabei ein instrumentalistisches Verhältnis zum eigenen Körper vorausgesetzt, das von den Frauen selbst gar nicht mehr erkannt wird als freiwillige Unterwerfung an Erwartungen von außen. Zwänge, die ihnen als Ausdruck weiblicher Autonomie verkauft werden. Anti-Aging ist darin nur eine Facette – und die Abtreibung eines nicht perfekten Kindes die dunkle Unterseite dieser glänzenden Oberfläche. In einem solchen Umfeld wird ein Schwangerschaftsabbruch vielleicht sogar als tatkräftige Bewältigung des eigenen Schicksals missverstanden. Und die Entscheidung, das Kind zu behalten, gilt im Umkehrschluss schlicht als unzeitgemäß. Und weniger wertvoll.
    Für mich bleibt ungeklärt, ob Leon lebensfähig gewesen wäre. Bis heute weiß ich nicht, ob er wegen der Ödeme sterben musste oder einem Vollkommenheitswahn geopfert wurde. Mein Kind, so hatten die Ärzte mit der ganzen Autorität ihrer Profession gesagt, sei nicht lebensfähig.
    Inzwischen weiß ich, Trisomie 21 allein ist nicht tödlich. Leon hätte vielleicht leben können. Bei einer Beratung, die das Ergebnis nicht vorweggenommen hätte. Die uns nicht in totale Ausweglosigkeit gestürzt hätte mit der Aussage: »Bei Ihnen ist alles viel schlimmer, als bei den Kindern, die unerkannt mit Down-Syndrom auf die Welt kommen. Weil jetzt schon so viel zu sehen ist.«
    Er hätte vielleicht leben können bei einer Beratung, die auch auf die bestehenden Entwicklungschancen meines Kindes und auf mögliche Unterstützung im Fall der Geburt eines behinderten Kindes hingewiesen hätte. Frühförderung, die es vielleicht sogar am ehesten dann gibt, wenn man, wie wir, in einer Stadt lebt.
    Therapeutische Hilfen wie Ergotherapie, Logopädie, Krankengymnastik fördern die Entwicklungschancen von Kindern mit Down-Syndrom. In den USA werden Medikamente erprobt, die die Gehirnfunktionen verbessern könnten. Förderunterricht und gemeinsamer Schulbesuch von behinderten und nicht behinderten Kindern wird in Schulgesetzen versprochen. Der medizinische Fortschritt verbessert ihr Leben. Und er ist gleichzeitig ihr größter Feind.

M eine neue Gynäkologin zeigte für meine Verfassung zunächst durchaus Verständnis. Ich hatte sie ausgewählt, weil sie eine therapeutische Zusatzausbildung hatte und ich auf menschlicheren Umgang hoffte. Empfehlungen für andere Frauenärztinnen waren schon an der Frage gescheitert, ob ich privat versichert bin. »Tut mir leid, Frau Doktor nimmt nur Privatpatientinnen«, war die Standardauskunft am Telefon. Die Arroganz dieser Absagen machte mich wütend, denn ich hatte mich aus Überzeugung gegen eine private Krankenversicherung und die Zweiklassenmedizin entschieden, obwohl ich viel Geld damit gespart hätte.
    Die neue Gynäkologin zeigte zwar Verständnis, doch fand ich ihren Vorschlag sehr befremdlich, mir zur Aufhellung – wie sie es nannte – Antidepressiva verschreiben zu lassen.
    »Sie verschwenden kostbare Lebenszeit, Sie müssen sich helfen lassen«, insistierte sie. »Sie müssen die Kontrolle über Ihren Körper abgeben.«
    Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Die Kontrolle über meinen Körper hatte ich in der Klinik abgegeben, zu einem verdammt hohen Preis. Ich war überzeugt, dass es der Verlust meiner Autonomie während der Schwangerschaft

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