Mein glaeserner Bauch
Erfolg und das außergewöhnliche Wachstum des von ihr geleiteten Unternehmens. Ihre Firma Signature Genomics startete 2003 mit drei Mitarbeitern. 2008 hatte sie schon mehr als hundertfünfzehn Angestellte und konnte einen Umsatz von mehr als achtzehn Millionen Dollar verzeichnen.
Die marktführende Stellung hat sich ihr Unternehmen erworben auf dem Gebiet von Gentests, die mit Hilfe von sogenannten Array- CGH -Chips durchgeführt werden. 100 Dazu gehören pränatale Tests auf der Basis von Microarrays, einer verfeinerten Screeningmethode, um vielfältige genetische Veränderungen bei Ungeborenen festzustellen. 101
Der Begriff »Microarrays« ist eine Sammelbezeichnung für moderne molekularbiologische Untersuchungssysteme, die parallele Analysen von mehreren Tausend Einzelnachweisen in einer geringen Menge biologischen Probenmaterials erlauben. Es gibt verschiedene Formen von Microarrays, die manchmal auch als »Genchips« oder »Biochips« bezeichnet werden, weil sie wie ein Computerchip viele Informationen auf kleinstem Raum enthalten können. 102
Aufmerksam wurde ich auf Lisa Shaffer durch einen Flyer, der von der Vereinigung Pränatal-Medizin München herausgegeben wird. Darin werben Frauenärzte und Humangenetiker dafür, mit Zellen, die für eine Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasseruntersuchung gewonnen werden, gleichzeitig eine »Pränatale Chip-Diagnostik« durchführen zu lassen. Das Spezialgebiet von Lisa Shaffer. Natürlich als privat zu zahlende IGeL-Leistung.
Durch die Entwicklung hochauflösender Array-CGH Chips sind heute sehr viel weiter gehende Detailuntersuchungen sicher möglich (array based cytogenetics). In den vergangenen Jahren wurde intensiv an der Entwicklung gearbeitet, heute ist die Diagnostik so sicher, dass sie bei der Untersuchung auffälliger Kinder zur Routine gehört. In der größten bisher vorliegenden Untersuchung (Lisa Shaffer, USA) wurden bei mehr als 30000 Untersuchungen bei auffälligen Kindern und jungen Erwachsenen in 24 % pathologische Diagnosen gestellt!
Bei vorgeburtlicher Diagnostik sollten Array-CGH Chips den Patientinnen nicht länger vorenthalten werden. 103
Auffällige Kinder und junge Erwachsene. Wer kennt sie nicht. Störenfriede. Könnte Elternsein vielleicht noch besser gelingen, wenn man sie rechtzeitig entdeckt? Möglichst während der Schwangerschaft, damit sie gar nicht erst zur Welt kommen, um zu auffälligen Kindern und jungen Erwachsenen zu werden?
Eventuelle Fragen nach Risiken dieser Genchip-Analysen, die Eltern einmal mehr vor die Entscheidung über Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes stellen können, beantwortet der Flyer folgendermaßen:
Die Beschäftigung mit bisher nicht bekannten Syndromen und Erkrankungen, der Aufwand der Klärung seltener Befunde, und die Unsicherheit über die richtige oder falsche Entscheidung im Zusammenhang mit pränataler Diagnostik kann als Risiko verstanden werden.
Das Recht auf Nichtwissen kann berührt oder verletzt werden. Nach einer auffälligen Diagnose kann man nicht zurück in die Naivität des Unwissenden vor der Diagnostik. 104
Die Naivität des Unwissenden? Meint das etwas anderes als eine kaum verhohlene Abwertung von Menschen, die sich nicht auf alle medizintechnischen Spekulationen und Möglichkeiten einlassen wollen? Als »naiv« gelten in unserem Sprachgebrauch Menschen, die über einen begrenzten geistigen Horizont verfügen und denen deshalb oft die Einsicht in notwendige Handlungen fehlt. Diese Aussage ist an Überheblichkeit nicht zu überbieten. Mir scheint, die Wahl des Begriffs »Naivität« lässt unschwer erkennen, wo die Anbieter dieser neuen Diagnostik-verfahren stehen.
Als Risiko gilt in der pränatalen Diagnostik ja nur das ungeborene Kind mit verdächtigem Befund. Meistens kann man vorgeburtlich zwar wenig über die tatsächlichen Auswirkungen im Leben dieses Menschen oder seiner Familie sagen. Doch wenn ein Kind erst durch die Qualitätsprüfung der Pränataldiagnostiker gefallen ist, dann wird sein Leben infrage gestellt. Wird ein vermeintlicher Mangel erst entdeckt, gilt die Schwangere oft als verantwortungslos, wenn sie das Kind trotzdem austragen will.
»Naivität des Unwissenden« wertet eine Haltung ab, die ethisch begründet ist. Die Haltung von Eltern, die ihr Kind so annehmen, wie es ist. Es gibt ein gesetzlich verankertes Recht auf Nichtwissen. Und genau das ist es, was im Flyer der Pränatal-Medizin München missachtet wird.
Bei meiner Recherche stieß ich auch auf
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