Mein Glueck
sich, von einer Tabula rasa für ihr eigenes Tun zu profitieren. Ich erlebte, wie eine mit Ideen, Meinungen und Dingen vollgestopfte Welt den Menschen einschüchtern konnte. Joyce hat diese Selbstgefährdung durch Kreativität gekannt: »We are creating things that could make us obsolete. Which is a frightening thing.« Hier setzen Vorstellungen ein, die tief ins Bewusstsein eingedrungen sind. Tarkowskis »Stalker«, Fleischers »Soylent Green« oder die Fotografien der Bechers erscheinen als makabre Referenzen dieser rettungslosen Verlorenheit im Fortschritt. Auch »Johnny Mnemonic«, ein Film von Robert Longo, geht diesem Thema nach. Er führt uns in die Datennetze, in den Cyberspace, zu Underground-Hackern. Es geht um die Überforderung durch ungebremste Informationen und Bilder, das Handicap unseres heutigen Lebens. Ein Bote tritt auf, dessen Gehirn mit einem Überfluss an Informationen gefüttert wird. Er soll sie weitertragen und in seinem Großspeicher perpetuieren. Das lässt ex contrario an das Glück der Menschen in Truffauts »Fahrenheit 451« denken, die den Inhalt verbotener Bücher mündlich überliefern dürfen.
Werner Spies mit Gerhard Richter und Studenten der Kunstakademie Düsseldorf
Die fünfundzwanzig Jahre an der Kunstakademie Düsseldorf führten mich mit einer großen Zahl vielversprechender junger Künstler zusammen. Vorher hatte ich mich in Paris keineswegs systematisch in den Ateliers und in den Galerien nach Neuem umgeschaut. Diese Reserve warfen mir Pariser Freunde immer wieder vor. Christian Boltanski, den ich früh als einen Künstler meiner Wahl entdeckte, sagte nicht zu Unrecht in einem Fernsehfilm, ich sei doch eher immun gegenüber dem Neuesten und wolle weniger ein Entdecker als ein Vertiefer sein. Das stimmte zweifelsohne, wenn man an Zeitgenossen wie Harry Szeemann denkt, die unentwegt neue Namen in die Diskussion warfen. Hinter meiner Zurückhaltung steckte so etwas wie Selbstschutz vor der Überflutung, die kein normaler Mensch zu bewältigen vermochte. Alles ließ sich nicht durchsetzen. Das spürte ich. Es gab aber auch Tabus, denen fast alle feige aus dem Weg gingen. Dazu gehörte das Werk von Fernando Botero. Der galt in so gut wie allen Museen als Unberührbarer. Mich hatte er mit seiner Unabhängigkeit beeindruckt, und ich organisierte für ihn eine Ausstellung in München, Köln und im Centro de Arte Reina Sofía in Madrid. Der Katalog enthielt Beiträge von Alberto Moravia und Mario Vargas Llosa. Immer wieder kam ich mit Mario Vargas Llosa auf sein frühes und heute geradezu kompromittierend wirkendes Interesse an Fernando Botero zu sprechen. Nichts habe sich, meinte er, für seine Person an der Bewunderung geändert. Hinter der naserümpfenden, modischen Ablehnung verstecke sich doch nichts anderes als Neid. In diesem wütenden Ostrazismus offenbare sich die Unfähigkeit, das synthetische Vorgehen des Kolumbianers und dessen bewussten Umgang mit der lateinamerikanischen Ambivalenz zu erkennen. Die Ablehnung hatte mit dem Widerstand gegen schwer revidierbare kulturelle und gesellschaftlich fixierte Urteile zu tun. Dem Bannfluch fallen nicht nur die immer wiederkehrenden Themen im Werk zum Opfer, die, monumental und statisch, seit Jahren jede Vorstellung von Entwicklung und Entfaltung eines Œuvres nebensächlich erscheinen lassen. Auch die Arbeiten der fünfziger und sechziger Jahre und damit Boteros Einspruch gegen die Selbstverständlichkeit, mit der sich avantgardistische Gestik in Europa und in den USA jeder Ausweispflicht zu entziehen vermochte, sind heute längst vergessen. Er musste die Zeche für seine Kritik in New York bezahlen. Dreizehn Jahre verbrachte Botero dort. Doch in keiner Publikation, die der New Yorker Kunstszene gilt, erscheint sein Name. Botero selbst äußerte sich über das Handicap, als Südamerikaner in Manhattan zu leben: »Wer kein abstrakter Expressionist war, galt nicht als Maler und existierte einfach nicht. Jeder war gegen mich. Ich hatte keine Freunde, und die ganze Umgebung war feindselig. Wenn man sich so gegen alles wehren muss, bleibt einem für die eigene Arbeit keine Energie mehr. Wenn sich jeder gegen einen stellt, arbeitet man im luftleeren Raum.« Die psychophysischen Leidensgesten, die zuckende Malweise, die die frühen Arbeiten mit einer nervösen graphischen Spannung versieht, die an die »Women« de Koonings denken lässt, verschwindet rasch. Doch dieser Verzicht auf den Effekt des Unfertigen und Expressiven ist
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