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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Trennlinien umgebenen weißen Kacheln gebaut hatte. Fasziniert beobachtete ich ihn dabei. Zwanzig Jahre lang stülpte er Bauplan über Bauplan. Es war ein Haus, das keine Patina duldete und für immer abwaschbar bleiben sollte. Der symbolistische Hintergrund war spürbar. Der Schock verweist mehr auf die surrealistische orgiastische Todesbesessenheit einer Morgue als auf die Neuen Realisten oder die Pop-Art. Am ehesten erinnert diese Arbeit an die »Desaster« Warhols oder an manche Inszenierungen von Beuys. Tod, Leichenhaus – einige Details unterstützen die Inszenierung eines abstoßenden Memento mori . Dazu gehören chirurgische Instrumente, Wattebäusche, Desinfektionsmittel und vorübergehend sogar peruanische Mumien, auf die man in dieser weißen Kälte traf. Die Mischung aus Odi profanum und Ekel beunruhigte mich zutiefst. Und doch rückte diese tiefgefrorene Welt in die Nähe Mallarmés, der von den »unverletzten Siegeln« spricht und vom Schutz, den das Geheimnis und das Verschweigen bieten.

    Ida Gianelli, Peter Raue, Rebecca Horn und Werner Spies

    Von einem Tag auf den anderen schloss der Künstler das Haus für Besucher. Am letzten Tag – er wollte mir weismachen, ich sei der letzte, der eintreten dürfe – verkündete er, er habe zwanzig Jahre seines Lebens in dieses Projekt gesteckt und nun wolle er den Bau zwanzig Jahre schließen und dem Blick entziehen. Nur er habe weiterhin das Recht, die Räume zu betreten. Nicht einmal ein Arzt dürfe über die Schwelle kommen. Er werde sich vor den Eingang legen und dort konsultieren lassen. Raynaud möchte einen Zeitblock, wie ein Stück Marmor, aus unserer Zukunft herausreißen und ihn dem entgegenhalten, was er nicht ausstehen kann: Vernetzung mit immer neuen Informationen und Ablenkungen. Seine Entscheidung war frustrierend. Sie zwang nicht nur dazu, über eine Geste des Entzugs nachzudenken, die in einer Zeit, die kaum mehr in Dekaden rechnet, überaus anachronistisch wirkt. Raynauds Entschluss entzog unseren Augen etwas Reales, mehr noch, einen einzigartigen kleinen Palast, eine Art Palais Stoclet. Wer nicht die Möglichkeit hatte, dorthin zu pilgern und die Wirkung dieses bis ins letzte Detail stilisierten Lebensentwurfs am eigenen Leib zu erfahren, muss für immer auf eine unterkühlte Alhambra-Feerie oder auf einen Palast der »Schneekönigin« Christian Andersens in der Banlieue verzichten. Manches war nur schwer auszuhalten. Eine Überdosis von Anspielungen, die den Tod ins Zimmer riefen, eine Aufhäufung von Ingredienzen, die auf eschatologischen Kitsch zielten, brachten Horrorszenen hervor. Das Haus blieb ein unerbittliches Statement für Psychose und Tod, einer Vorstellung von Tod, die längst aus der Gesellschaft verdrängt worden war. Nicht umsonst zeigten sich Historiker wie Georges Duby beim Besuch von der Rede Raynauds, in der dieser seine Gäste auf verdrängte emotionale Schichten des Lebens hinwies, beeindruckt. Man darf nicht vergessen, dass solche weißen, mit Trauerrändern verzierten Kacheln zu der Zeit bereits in der Realität von euphemistischeren Formen des Sanitären und Hygienischen ersetzt wurden. Tod, Krankenhaus, auswaschbare, desinfizierbare Metrostationen versteckten sich hinter einem Dekor, der einer durch Tranquilizer weitgehend verniedlichten Lebensangst korrespondierte. Mich erregte die Vorstellung, dass hier ein Mensch den Mut fand, das Sakrale vor Missbrauch zu schützen.
    Es war in den Monaten, da ich mit Monique aus Bali zurückkehrte und mit Degout erleben musste, wie Touristen auf die Altäre stiegen, um sich gegenseitig in den obszönsten Stellungen zu fotografieren. Doch eines Tages endete die Illusion, die mich so tief bewegt hatte. Nach wenigen Monaten ließ Raynaud sein Haus niederreißen. Bulldozer fraßen sich mit Leichtigkeit in diese Architektur und zerlegten sie in gleich große Portionen. Raynaud stellte die Bruchstücke in Bordeaux aus und verkaufte sie portionsweise in blitzenden medizinischen Metallschalen. Für mich war dies eine immense Enttäuschung, das Ende einer nutzlosen, gespielten Rechthaberei. Ich wusste, dass es bei Raynaud, für Raynaud keine Ewigkeit gab. Deshalb nahm ich es auch einigermaßen leicht, als die Fondation Cartier dem Centre Pompidou als Dauerleihgabe einen riesigen goldenen Blumentopf von Raynaud überstellte. Er sollte vor dem Museum, auf der Piazza seinen Platz finden. Raynaud entwarf einen gigantischen, miserabel proportionierten Sockel, auf dem der Topf beinahe

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