Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
dann stockend. »Herzschlag bestimmt.«
»Das meine ich nicht!« Biggi schien fast wütend zu sein. »Wir hatten uns doch gerade erst wiedergefunden. Was ist denn das für ein grausamer Witz?«
»Ich weiß nicht«, sagte Wanda noch einmal. »Das ist ja schrecklich. War er denn … hatte er Familie?«
»Er war nicht mehr verheiratet. Er hat mich nicht angelogen, keine Sorge. Seine Nachbarin ist misstrauisch geworden, als sie ihn eine Weile nicht gehört hat, obwohl sie wusste, dass er da ist, die hatte einen Schlüssel.« Biggi schniefte laut und plumpste neben Wanda auf die Couch. »Weißt du, was er zum Abschied zu mir gesagt hat? Er hat gesagt: Warum hast du nur so lange gezögert, mich zu treffen, Biggi?« Biggi schüttete den letzten korkigen Rest Rotwein in ein Glas und kippte ihn hinunter. Sie zog eine neue Flasche hinter der Couch hervor. »Und warum habe ich so lange gewartet? Weil ich mich zu fett gefühlt habe! Wie lächerlich ist das denn? Dabei war ihm das herzlich egal; als wir miteinander geredet haben, waren wir doch auf einmal beide wieder jung, egal wie wir heute aussehen.« Biggi fing an zu weinen.
»Es tut mir so leid«, murmelte Wanda hilflos. Sie streichelte sachte Biggis Arm. »Er war ein netter Kerl.«
Biggi nickte. »Das war er. Damals. Wie er jetzt so war, weiß ich ja kaum. Und ich werde es nie mehr erfahren. Aber weißt du, warum ich am meisten heule? Weil wir uns so beschissen einsperren lassen, in diesem Korsett aus ›Das macht man nicht‹ und ›Was werden die anderen von mir denken‹ und ›Ich bin nicht schön genug, nicht jung genug, nicht schlank genug‹ und ›meine Hängebrüste versauen mein dämliches Foto‹.« Sie lachte plötzlich, wenn auch leicht hysterisch. »Ich hätte mit dem Benno noch ein paar verdammt gute Wochen haben können. Wenn ich nicht so eitel gewesen wäre. Und deswegen heule ich, und deswegen saufe ich.« Sie schickte sich an, die dritte Flasche Wein zu öffnen. Wanda hielt schnell ihre Hand fest, aber Biggi sah sie mit tränenverschleierten Augen an. »Willst du auch ein Glas?«
Wanda nickte ergeben. Gegen Biggi kam sie sowieso nicht an. Und wenn das alles war, was sie für ihre Freundin tun konnte, dann würde sie eben mit ihr ein Glas von diesem billigen Chianti trinken.
»Trinken wir auf den Benno«, sagte Wanda leise. Ihr Magen zog sich zusammen. Dass Benno so von einem Tag auf den anderen aus der Welt verschwunden sein sollte, war einfach unfassbar.
»Und darauf, dass wir nicht mehr warten und dauernd alles in Frage stellen und abwägen, Wanda. Wir warten und warten, und auf einmal ist das Leben vorbei. Von jetzt an wird gelebt.« Biggi zog mit einem dumpfen Knall den Korken aus der Flasche. Sie goss Wanda ungefragt das Glas randvoll.
»Von jetzt an wird gelebt«, wiederholte Wanda mechanisch.
»Und darauf, dass du mit zur Beerdigung kommst. Ich schaff das nicht alleine.«
Wanda sah sich auf dem Friedhofsvorplatz um. Sie kannte keinen der Leute, die zu Bennos Beerdigung erschienen waren. Nachdem Biggi sie eine Woche lang angefleht hatte, war Wanda schweren Herzens mitgekommen, auch wenn ihr davor graute. Franziska hatte ihr versichert, dass sie im Herkules die Stellung halten würde. Na, hoffentlich. Etwas Gutes hatte die Sache mit dem Studio also – sie und Franziska waren sich wieder nähergekommen. Näher jedenfalls, als die steife junge Frau, die sich ihnen als Bennos Tochter vorgestellt und ihren Vater das letzte Mal vor zwanzig Jahren gesehen hatte. Bennos Exfrau war nicht gekommen, dafür aber schob sich eine rundliche, energische Person mit großem schwarzem Hut über den Platz, ein riesiges Blumengebinde im Arm.
»Biggi, sieh doch nur«, sagte Wanda leise. »Ist das nicht die Hempler?«
»Was?« Biggi reckte den Hals. Sie sah heute richtig elegant aus, ganz in Schwarz und mit langen Handschuhen. Nur wer genau hinsah, konnte erkennen, dass sie lediglich auf einer Seite einen Ohrring trug, ein kleines silbernes Peace -Zeichen. Benno hatte als junger Mann immer so eins getragen, und Wanda wünschte sich plötzlich schmerzlich, dass er Biggi so hätte sehen können.
»Die Regina. Dort, die mit den Lilien.«
»Tatsächlich. Was will die denn hier?«
In diesem Moment kam Regina Hempler auch schon auf sie zu, die Augen halb geschlossen, um dem tragischen Anlass Genüge zu tun, ein salbungsvolles Lächeln um die Lippen.
»Wanda!« Sie ergriff Wandas Hände, wobei sie fast das Lilienbukett fallen ließ. »Dass noch jemand aus
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