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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Sprich mit ihm darüber. Sieh dir seine Schallplatten an. Wie oft spielt er sie? Natürlich sehr selten. Hör dir mit ihm zusammen gute Musik an. Frage ihn, laß dir erklären. Gib ihm Zutrauen, Vivi, und lehre ihn zu verstehen, daß er eine erwachsene Schwester hat, mit der man reden und Gedanken austauschen kann. Und mit der man lachen kann. Johannes kann nicht lachen, Vivi! Denk dir, achtundzwanzig Jahre alt, und nicht herzhaft lachen zu können!“
    Ich saß ganz still und hörte zu. Ab und zu nickte ich mit dem Kopf.
    „Elsa, du hast recht, du hast so recht. Und ich fühle mich wie ein abscheulicher Egoist. Jetzt weiß ich: mein ganzes Leben hindurch bin ich egoistisch gewesen.“
    „Da ist es ja ein Glück, daß dein Leben bisher nur zwanzig Jahre gedauert hat“, sagte Elsa trocken. „Da ist es noch nicht zu spät, anzufangen.“
    Elsa mußte zeitig gehen, sie sollte auftreten.
    Ich räumte die Kaffeetassen weg und kam ins Zimmer zurück. Johannes las Zeitung.
    Nachdenklich betrachtete ich ihn von der Seite. Eigentlich war es eine Schande, daß Elsa meinen Bruder soviel besser kannte als ich! Ob ich gleich einen Versuch machte, mal auf seine Interessen einzugehen, wie Elsa es mir geraten hatte? Ich sah im Radioprogramm nach.
    „Johannes, jetzt ist ein Mozartkonzert, sollen wir uns das anhören?“
    Erstaunt ließ Johannes das Zeitungsblatt sinken: „Machst du dir denn etwas aus Mozart, Vivi?“
    „Natürlich höre ich gern gute Musik. Wieviel ich davon verstehe, steht freilich auf einem anderen Blatt. Vielleicht könntest du mir manches erklären?“
    Johannes’ ernstes Gesicht leuchtete auf. Wir hörten das Konzert zusammen, es war die Es-Dur-Symphonie.
    Nachher schwiegen wir eine Weile. Dann wagte ich mich weiter vor: „Johannes, bitte betrachte mich nicht als einen Idioten. Aber kannst du nicht so nett sein und mir erklären, was eine Symphonie eigentlich ist?“
    „Ja, das kann ich schon, wenn du es wirklich wissen willst.“
    „Deshalb frage ich ja.“
    Dann erklärte Johannes. Von der Sonate ging er aus, erklärte deren Aufbau und erzählte dann weiter von der Symphonie. Ich nickte und konnte seinen Erklärungen folgen.
    „Übrigens“, sagte Johannes, „kannst du das alles nachlesen!“ Er stand auf und holte ein Buch aus dem Regal. Nicht einen Augenblick brauchte er zu suchen, er wußte genau, wo es stand. „Hier hast du ein Musiklexikon, daraus habe ich auch meine Weisheit.“
    „Ich will gern darin lesen, Johannes. Wahrscheinlich kann ich es aber viel leichter begreifen, wenn du es mir erklärst.“
    Johannes öffnete die Tür seines Plattenschrankes. „Wir wollen jetzt eine Sonate von Haydn spielen. Während wir die anhören, solltest du lesen – sieh, hier.“ Er blätterte und schlug die Seite auf. „Mal sehen, ob du es verstehst.“
    Ich hörte zu und las. Und ich fand alles so interessant, daß ich gar nicht mehr daran dachte, warum ich dies Thema überhaupt angefangen hatte. Was vorher für mich einfach „gute Musik“ gewesen war, bekam eine neue Bedeutung und einen neuen, klaren Sinn. Ich hörte die wiederkehrenden Themen heraus. Johannes konnte alle meine Fragen beantworten. Er wurde ganz beredt, zeigte Sicherheit, Wissen, beinahe Überlegenheit – etwas, was ich nie von ihm erwartet hatte, was ihm aber gut stand.
    Wir merkten nicht, wie die Zeit verging, bis die Uhr elf schlug.
    „Ja, aber Vivi“, sagte Johannes da ganz entsetzt, „du bringst mich dazu, die Hauptsache zu vergessen.“ Er ging hinaus und kam gleich wieder herein. Tolpatschig und befangen stand er in der Tür, mit zwei Gläsern in der einen Hand und einer halben Flasche Sekt in der anderen. Guter, großer Bruder, mein täppischer lieber Bär, dachte ich zum erstenmal voller Zärtlichkeit, ich weiß, was ich dir danke.
    „Ich finde, daß wir zu deinem Geburtstag doch auf dein Wohl trinken müssen, Vivi, du und ich.“ Er schenkte ein. „Ja, Johannes, du und ich.“
    Ich hob mein Glas und sah ihm in die Augen. Und da nahm er auf einmal sein Glas in die linke Hand und reichte mir die rechte. „Liebes kleines Schwesterlein.“ Dann leerten wir die Gläser bis auf den Grund.

Die kleine Gazelle
     
     
    Wie hatte Elsa doch recht!
    Ich nahm mir vor, für Johannes da zu sein, ein wenig von der grenzenlosen Schuld zu bezahlen, die ich ihm gegenüber hatte. Es war sonderbar. Ich war innerlich so unglücklich, daß ich Torsten verloren hatte. Die Bitterkeit gegen ihn, weil er so schlecht von mir gedacht hatte,

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