Mein Herz in Deinen Händen
Stamm festgewachsen war und fiel zu Boden.
Russells Mund klappte auf.
Dan verbarg sein eigenes Erstaunen hinter einem etwas naseweisen Tonfall. »Was hast du gerade gesagt, Dad?«
Russell sah Pepper an, die Augen weit und rund.
Sie ließ das Gewehr sinken, sah zu der Stelle, wo der Ast gelandet war und nickte, als überrasche sie das nicht.
»Hast du gesagt, du wolltest deinen Hut essen, Dad? Zum Frühstück?« Dans Ansichten über Pepper hatten sich gerade bestätigt. Sie war – und war es immer gewesen – ein höllisches Weibsbild. Sie fürchtete sich vor niemandem. Nicht vor seinem Dad, nicht vor ihm. Sie fürchtete sich nicht zu sagen, was sie dachte. Wenn er sie ansah, erblickte er jene unverblümte Aufrichtigkeit, die er für immer verloren geglaubt hatte.
Aber Dan wusste nicht, ob sie wirklich aufrichtig war. Sie konnte genauso eine Verräterin sein, die auf eine Chance wartete, ihn zu töten. Wo hatte sie gelernt, so zu schießen?
Dan nahm ihr das Gewehr aus der Hand.
Russell wollte wissen: »Dan, hast du gewusst, dass sie so schießen kann?«
»Nein. Sie hat das früher nie gemacht.« Dan legte das Gewehr auf den Tisch. »Ziemlich verblüffend, hm?«
»Ja, aber …« Russell schob wie ein trotziger kleiner Junge die Unterlippe vor. »… nicht so gut wie du.«
Exakt, und Dan war froh, dass sein Vater es gesagt hatte, denn falls Pepper vorhatte, ihn zu erschießen, musste sie ihn im Schlaf erwischen. »Ja, aber ich schieße, seit ich ein kleiner Junge war. Und bei der Armee habe ich noch dazugelernt.«
Dan wusste, dass es an seinem Vater nagte, eine Frau so gut schießen zu sehen, und Russell sagte auch gleich: »Ich schätze, es hat zehn Männer gebraucht, dir das so beizubringen, was, Pepper?«
»Mrs Dreiss hat genauso gut geschossen«, stellte Pepper fest. »Sie hat mir eine Menge beigebracht, und dann habe ich Monat für Monat auf der Schießanlage geübt.«
»Also gut, schießen kannst du«, sagte Russell. »Aber was machst du, wenn irgendein Kerl bei dir einbricht und du nicht an dein Gewehr kommst?«
Als hätte sie die Frage erwartet, packte sie ihn vorne am Hemd und am Handgelenk und warf ihn über ihre Hüfte.
Er landete mit einem Schlag auf dem Holzboden, blieb flach auf dem Rücken liegen und sah zur Decke der Veranda auf. »Muss mal gestrichen werden«, murmelte er.
Zuzusehen, wie Pepper seinen Vater überrumpelte, war das Vergnüglichste, das Dan seit langem erlebt hatte. Außerdem zeigte Pepper ihm als Dreingabe, was sie konnte … und das sprach sehr für ihre Unschuld. Er wusste nicht, woher sie so gut schießen konnte; er wusste nicht, wieso sie Judo konnte; aber eine Terroristin hätte ihre Fähigkeiten hinter einer Fassade aus Inkompetenz verborgen. Pepper stellte ihre Fähigkeiten ohne erkennbare Hintergedanken zur Schau.
Pepper blickte auf Russell herab. »Habe ich Ihnen wehgetan?«
»Hast du nicht, und das weißt du genau«, grummelte Russell. »Du hast mich sauber aufs Kreuz gelegt, genau wie diese Judo-Champions im Film.«
Dan berührte Peppers Wange, strich ihr einfach zart zum Kinn hinab. »Elegant. Guter Bewegungsablauf. Wer hat dir das beigebracht?«
Sie drehte den Kopf weg, als missfiele ihr die Berührung, doch sie feuchtete die Lippen an. Während der Zeit im Krankenhaus hatte Dan eine ordentliche Dosis Oprah Winfrey abbekommen, und Oprah hätte gesagt, dass Pepper eine widersprüchliche Frau war.
»Master Han. Ein vietnamesischer Champion. Er ist nach George …«, sie korrigierte sich leichthin, »nach Amerika gezogen, und hat seine eigene Schule aufgemacht.«
»Und wo?«
Sie fuhr fort, als hätte er nichts gesagt. »Ich habe drei Jahre lang bei ihm gelernt.«
Dan gestattete ihr, seine Frage zu übergehen – für den Moment.
»Hast du den schwarzen Gürtel?«, fragte er.
»Ja.« Pepper prahlte nicht lang, sondern streckte Russell einfach die Hand hin.
Russell ließ sich auf die Füße helfen und klopfte sich den Schmutz vom Hintern. Aber Dan wusste, er konnte Pepper nicht das letzte Wort lassen. »Also gut, Miss Neunmalklug. Aber was machst du, wenn hier mehr als einer auftaucht und die Kerle bewaffnet sind?«
Die Farbe wich aus ihren Wangen, und sie sah nicht mehr wie ein Teenager aus, sondern so alt, wie sie war. Und erschöpft. Sie sah erschöpft aus. »Dann sterbe ich.«
Sie sagte das so schlicht, so hoffnungslos, dass Dan sich fragte, ob sie Judo und Schießen wohl gelernt hatte, um sich vor jemand Bestimmtem zu schützen. Einem Stalker.
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