Mein Herz ruft deinen Namen
gefunden hattest, das dir schmeckte; auf dem Sofa neben dem Buch lagen Davides Pyjama und ein kleiner Handschuh, den wir in der Eile vergessen hatten; in der Küche standen noch die Reste des Frühstücks auf dem Tisch: ein schlecht verschlossenes Marmeladenglas, die Blechschachtel mit dem Zwieback, Krümel auf der Tischdecke – Tassen und Gläser dagegen waren schon im Spülbecken, du wolltest sie bei der Rückkehr abwaschen.
Die Schlüssel in der Hand, stand ich in der Tür und fand nicht den Mut einzutreten. Was vor mir lag, war eine Mondlandschaft, und ich war der Astronaut, der hergekommen war, um alles zu dokumentieren; es war Pompeji nach dem Vulkanausbruch oder Hiroshima nach der Bombe: Es gab keine Asche und auch keinen Atompilz, dennoch war eine ganze Welt weggefegt worden und hatte nur wenige Spuren zurückgelassen – die Abdrücke, die leeren Hüllen eines Lebens, das einst darin gelebt worden war.
Ich sagte »Nora«, wie immer, wenn ich nach Hause kam, und dein Name löste sich in der Stille der Räume auf. Ich stand an der Tür und roch den Geruch unseres Lebens – den Duft deiner Küche, den Geruch meines und deines Körpers, den staubigen Geruch des Papiers, das du überall aufhäuftest, den zarten Duft von Davides Körper – nach Kinderbad, Pipi und Talkumpuder. Wenn sie mit der Außenluft in Berührung kam, würde diese Mischung aus Gerüchen und Düften bald verfliegen, und von da an wäre es unmöglich, sie wieder herzustellen. Ich war nun allein, ohne eine schützende Höhle, ohne einen Ort, um zurückzukehren.
Der Widerhall der Schritte einer Person, die die Treppe heraufkam, scheuchte mich schließlich in die Wohnung; ich war müde, erschöpft von der endlosen Wiederholung passender Floskeln. Ich hätte schreien mögen, aber leider entsprach das nicht meinem Wesen.
Auf dem Fußboden seines Zimmers hatte Davide die aufeinandergeschichteten Holzklötzchen liegen gelassen; bauen und das Gebaute wieder umwerfen war in den letzten Monaten seine Leidenschaft gewesen: Ruhig und konzentriert errichtete er einen Turm, zeigte ihn uns und brachte ihn mit seinem Händchen zum Einstürzen. Unentschieden sah ich die Klötzchen eine Weile an, dann stieß ich sie abrupt um. Einmal wollte ich noch das Geräusch hören, wollte mir Davides Lächeln vorstellen – und Geräusch und Lächeln in der tiefsten Tiefe meines Herzens begraben.
Zuletzt ging ich in unser Zimmer. Das Bett war ungemacht, auf dem Kissen sah man noch den Abdruck deines Kopfes; ich legte mich an deinen Platz und schmiegte meinen Kopf zärtlich genau in die Höhlung hinein. »Sag es mir«, bat ich dich immer wieder, »sag mir, warum.« Dann schlief ich ein.
Als ich erwachte, lag die Wohnung im Dunkeln. Aus dem Bad hörte man das Brummen des Boilers, den niemand abgestellt hatte. Ich stand auf und blickte mich um. Ich war ins Schlafzimmer gegangen, um etwas zu suchen, das ich euch in den Sarg mitgeben konnte. Unentschlossen ging ich zwischen deinen Sachen hin und her, du hattest keine Fetische, Gegenstände, an denen du besonders hingst; ein Buch hätte ich nehmen können, aber welches? Und konntest du überhaupt ein Buch brauchen für die Ewigkeit? Erst in der Küche, als ich dein mehlverklebtes Kochbuch sah, kam mir eine Idee. Du hattest immer besonders gern Kuchen und Plätzchen gebacken, »Spielereien«, wie du es nanntest, ein Rinderschmorbraten zum Beispiel war dir dagegen ein Graus. »Wenn du mich dann wirklich liebst«, hattest du einmal scherzhaft gesagt, »wirst du die Kuchen nicht mehr nur essen, sondern auch backen lernen.«
So buk ich an einem Novembernachmittag, während es draußen dunkel war und regnete, den ersten – und einzigen – Kuchen meines Lebens – eine Torta Paradiso, deinen Lieblingskuchen. Ungeschickt ahmte ich deine Bewegungen nach – ich wusste weder, dass man das Eigelb vom Eiweiß trennen, noch, dass man das Mehl mit Stärkemehl vermischen musste –, und erst nach vielen Anläufen gelang es mir, den Teig herzustellen. Während der Kuchen dann im Backrohr aufging und goldbraun wurde, saß ich die ganze Zeit davor, sah zu und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Bevor ich mit der Kuchenform unterm Arm losging, schaute ich in Davides Zimmer. Aus den zerwühlten Laken lugte der blaue Schwanz seines Plüschdelfins hervor, ich nahm ihn und streichelte ihm über das lächelnde Maul. Wie oft hatten wir miteinander gespielt, das Bett sei das Meer – ich ahmte die Stimme des Delfins nach, und
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