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Mein Herz ruft deinen Namen

Mein Herz ruft deinen Namen

Titel: Mein Herz ruft deinen Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Tamaro
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der alle deine Gedanken leitete –, und ich, da ich nichts von dem sah, was du sahst, hätte irgendwann angefangen, mich zu langweilen. Die Langeweile hätte den Wunsch nach Ablenkung hervorgebracht, deshalb hätte ich früher oder später an einer Gabelung zu dir gesagt: »Ich bin neugierig, wo dieser Weg hinführt, geh ruhig voraus, ich komme später nach.« Doch an einer Abzweigung wäre ich auf einen Feldweg geraten und danach auf einen steilen Pfad – den vielleicht einige Gämsen ausgetreten hatten –, und auch der wäre mir interessant erschienen, also wäre ich weiter und weiter gegangen, und fast unmerklich und rasch hätte sich die Nacht des Nicht-mehr-Zurückkönnens über meine Schritte gesenkt. Natürlich hättest du auch umkehren und anhalten können, um mir am Himmel jenen Stern zu zeigen, den ich nicht sehen konnte. Das hättest du tun können, und bestimmt hättest du es auch getan, wenn ich offene Ohren und offene Augen gehabt hätte. Du hättest es getan, wenn ich zugänglicher gewesen wäre, wenn du – anstelle des Arztes, der jeden Herzschlag kontrollieren konnte – den kleinen Jungen vor dir gehabt hättest, der sich in die Felder legte, den Himmel beobachtete und staunte, jenen kleinen Jungen, der die Wolken betrachtete und sich fragte: »Gibt es die Seele? Was ist das? Woher kommt sie? Wohin geht sie?«

17
    Ich kehrte nach Rom zurück, zog in ein möbliertes Appartement in der Nähe des Krankenhauses und fing wieder an zu arbeiten. Scheinbar war mein Leben so wie immer – ich lächelte über die Witze der Kollegen, und ab und zu gelang es mir sogar, selbst einen zu machen. Natürlich handelte es sich um ein Tarnverhalten, nicht unähnlich dem, das Tiere anwenden, um dem Blick eines Räubers zu entgehen. Die Maske des Arztes bewegte sich ungerührt durch die Flure, tröstete die Patienten, erfüllte ihre Pflichten mit absoluter Effizienz, aber es war eben eine Maske. Der wahre Matteo war nicht mehr da. Der wahre Matteo hatte sich seit jenem Sonntagnachmittag in einen Turmspringer verwandelt. Er stand dort auf dem federnden Sprungbrett, mit angespannten Muskeln und konzentriertem Blick, und schwang die Arme rhythmisch vor und zurück, sprungbereit – doch unten war kein Wasser, sondern nur der dunkle, gähnende Abgrund. Der Raum, den du in mir bewohnt hattest, war nun leer, hohl wie der Schildkrötenpanzer, wenn der Tod das Tier auflöst, das darin gewohnt hat. Alles, was ich konnte, war hineinschauen, mit dem Blick den Umfang ausloten, Worte sagen, auch schreien, und dann stehen bleiben und dem Echo lauschen.
    In der ersten Zeit war ich kaum je allein – abends und am Sonntag wetteiferten Freunde und Kollegen darum, mich zu sich nach Hause einzuladen; einige spielten nie darauf an, was geschehen war, andere dagegen versuchten, mir mehr oder weniger unauffällig Ratschläge zu geben.
    Einmal hatte mich eine Kollegin überredet, in ein Meditationszentrum mitzukommen. Sie meinte, wenn es mir gelänge zu meditieren, würde ich lernen, Abstand zu den Dingen zu gewinnen, und wieder Frieden finden. Die Erinnerung an deine Morgenrituale überwog meine Skepsis. Vielleicht widmetest ja auch du dich in dieser geheimnisvollen Zeit einer solchen Tätigkeit, und wenn ich es auch täte, könnte ich irgendwie Kontakt zu deiner Welt bekommen. Doch kaum saß ich zehn Minuten neben allen anderen auf dem Boden, erfasste mich eine überwältigende Nervosität, und als die Lehrerin mit ekstatischem Gesichtsausdruck zum zehnten Mal wiederholte: »Lasst alle Gedanken los, lasst alle Bindungen los, öffnet eure Herzen der Freude …«, sprang ich auf und ging türenknallend davon. Ich wollte an dich gebunden sein, und ohne dich war keine Freude möglich.
    Einige Monate später schlug mir eine Nachbarin aus dem Haus vor, mich mit dir in Verbindung zu bringen. Sie habe eine Freundin, die ein sehr ernsthaftes Medium sei und mir gerne helfen werde. Ich kann mir deine ironischen Bemerkungen vorstellen, wenn du gesehen hättest, wie ich zu einer Frau mit übernatürlichen Fähigkeiten laufe, aber meine Verzweiflung war zu der Zeit so groß, dass ich alles getan hätte, um mit dir zu sprechen, dich wenigstens einen Augenblick lang zu sehen – um dir die Frage zu stellen, die sich seit Monaten in meinem Herzen eingenistet hatte.
    Es war Faschingsdonnerstag, als ich zu ihr ging. Um zu ihrer Wohnung im Zentrum zu gelangen, musste ich mich durch die maskierte Menschenmenge hindurchkämpfen – ab und zu warf

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