Mein Herz ruft deinen Namen
pass auf – die haben es alle nur darauf abgesehen zu heiraten.« Am nächsten Tag ging ich nicht in das Lokal, und als sie mich anrief, tat ich so, als hätte ich den Anruf nicht gesehen. Der Dämon des Misstrauens hatte von mir Besitz ergriffen. Am folgenden Sonntag wollte sie mich unbedingt sehen, und obwohl ich hinund hergerissen war, sagte ich zu. Auf dem Heimweg von einem Spaziergang trafen wir ein paar rumänische Freunde von ihr, und sie begann eifrig mit ihnen zu reden, ohne dass ich ein Wort verstand; das irritierte mich noch mehr. Zu Hause angekommen, sah ich, wie sie mit der Sicherheit der Hausherrin in die Küche trat, und packte sie am Arm. »Was willst du von mir?«, schrie ich sie an. In dem Augenblick war sie Larissa, die Festung: »Nur eines«, erwiderte sie und sah mir direkt in die Augen. »Dass du aufhörst zu trinken.«
20
Massen von Schlamm hatten sich von der Bergwand gelöst, und ich hatte es nicht gemerkt. Ich stand, wie ich glaubte, auf festem Grund, gestikulierte, ereiferte mich, verkündete meine Wahrheiten mit der Überheblichkeit dessen, der weiß, was er will, und derweil wurde der Erdrutsch Meter für Meter größer. Zum Schlamm kamen Felsbrocken hinzu, zu den Felsbrocken Bäume – es war ein einziges Ächzen und Knirschen, ein Getöse, und ich benahm mich weiter so, als sei ich der Herrscher der Welt.
»Warum?«, fragte ich Larissa an jenem Tag, als sie diesen Satz sagte. Einen Moment lang schwieg sie, aus ihren großen grünen Augen sprach ein schmerzliches Staunen. Ihre Antwort glich einem Hauch: »Weil ich dich liebe.«
Eine Weile blieben wir so voreinander stehen – wie zwei Fremde, gefangen im Schweigen eines Aufzugs –, dann trat ich einen Schritt auf sie zu. »Liebst du mich wirklich?« Ihre Augen waren außergewöhnlich glänzend.
»Ja.« Ich nahm sie fest in die Arme. Es war schön, die lauen Tränen auf ihren Wangen zu spüren. Ich zerzauste ihr die Haare. »Und warum liebst du mich?«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »An mir ist nichts Liebenswertes.«
Sie schüttelte den Kopf und trocknete sich mit dem Handrücken die Augen. »Weil ich den Matteo sehe, den du nicht siehst.«
»Welchen Matteo?«
»Den, der vor der Verzweiflung da war.«
In jener Nacht, als ich sie umarmte und den Geruch der Wälder roch, in denen sie aufgewachsen war, den Duft nach Holzfeuer, den ihre Haare noch verströmten, und dabei ihrer hellen Stimme lauschte, die sich kristallklar über die Schwere der meinen erhob, war ich überzeugt, ich hätte endlich den Hafen gefunden, die Basis – das Fundament für ein neues Leben. Am nächsten Morgen wachte ich als Erster auf, bereitete das Frühstück und brachte es ihr ans Bett; sie schlief noch, ihre Haut war so wunderbar rein wie die einer Märchenprinzessin; als ich sie auf die Wange küsste, fühlte ich mich wirklich wie ein Prinz, nur dass die Rollen vertauscht waren – diesmal würde Dornröschen mich von dem bösen Zauber befreien. Später leerten wir gemeinsam alle Flaschen mit Alkohol, die es in der Wohnung gab, ins Waschbecken aus und gingen anschließend zum Glascontainer, um sie wegzuwerfen.
Zum Mittagessen fuhr ich mit ihr nach Fregene, und nach dem Essen machten wir einen langen Spaziergang am Strand, eng umschlungen wie ein Liebespaar. Es waren die ersten Märztage, in der Nacht zuvor hatte es heftig geregnet, die Luft war noch kalt, und dichte violette Wolken ballten sich am Horizont. Wenige Menschen waren zu sehen – ein Junge warf ein Frisbee für seinen Hund, ein Kind trottete zwischen seinen jungen Eltern, die es an der Hand hielten, und wenn sie es ab und zu hochhoben, um es fliegen zu lassen, vermischte sein Lachen sich mit dem Tosen der Wellen.
Unterwegs erzählte mir Larissa, erst vor einem Jahr habe sie zum ersten Mal das Meer gesehen. Die ganze Kindheit habe sie nur davon geträumt. »Es ist wie ein See, nur viel größer«, sagte ihr Vater eines Tages zu ihr, aber sie konnte es sich trotzdem nicht vorstellen. In der Schulbibliothek fand sie dann ein Buch von Hans Christian Andersen, und als sie Die kleine Seejungfrau las, verliebte sie sich in das Meer, und gleichzeitig entstand auch ihre Leidenschaft für Gesang. »Allerdings«, sagte sie dann, sich enger an mich schmiegend, »muss ich dir gestehen, dass es mir auch große Angst macht, und vor allem kann ich nicht schwimmen.« Daraufhin hob ich sie hoch und tat, als wolle ich sie ins Wasser werfen. »Nein, nein, bitte nicht«, schrie sie lachend. »Ich will
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