Mein Herz ruft deinen Namen
nicht ausgerechnet heute schwimmen lernen.« »Na gut« – ich stellte sie wieder auf den Boden –, »im Juni bringe ich es dir bei. Aber nicht hier, in diesem hässlichen Meer. Ich nehme dich mit nach Numana, dann lernst du auch meinen Vater kennen.«
In dem Augenblick sah ich zwischen all dem Abfall, den die Winterstürme angeschwemmt hatten, eine Flasche mit Korken und hob sie auf. »Rate mal, was wir machen?« Larissa klatschte in die Hände wie ein kleines Mädchen. »Au ja!«
»Ich habe aber kein Papier«, sagte ich, während ich in meinen Taschen wühlte.
»Ich habe welches!«, rief sie und zog ein Notizbüchlein mit Teddys auf dem Umschlag aus ihrem kleinen Rucksack. »Und ich habe auch einen Stift!« Wir hockten uns auf den feuchten Sand. Ich hielt den Kugelschreiber in der Luft wie ein Schüler bei seinen ersten Schreibversuchen. »Was schreiben wir?«
»Was meinst du?«
»Dass wir uns lieben?«
Larissa nickte nachdrücklich. »Schreib auch das Datum dazu.«
Ich notierte auch das Datum und malte darunter ungeschickt ein Herz mit unseren beiden Namen darinnen. Mit der Hartnäckigkeit einer Lehrerin legte sie den Zeigefinger auf das Blatt: »Setz noch hinzu: » Und im Namen unserer Liebe werde ich von jetzt an keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren . Und unterschreibe, sonst gilt es nicht.«
»Einverstanden«, sagte ich gehorsam. Dann riefen wir: »Eins, zwei, drei!« und warfen die Flasche gemeinsam ins Meer.
Die Sonne am Horizont begann zu sinken.
Auf dem Rückweg, kurz bevor wir das Auto erreichten, hob sie einen Flipflop, den die Wellen dort abgelegt hatten, aus dem Sand auf. »Schau nur, all diese weggeworfenen Sachen.« Sie hielt mir die Sandale hin. »Schlappen, Spielsachen, Flaschen, Dosen. Alle hatten eine Geschichte, bevor sie hier gestrandet sind. Jemand hat sie ausgewählt, gekauft, benutzt, vielleicht sogar geliebt. Und jetzt sind sie nur noch von der Brandung hierhin und dorthin gespülter Abfall. Stell dir mal vor, wenn sie eine Stimme hätten, wenn sie alles erzählen könnten, was ihnen passiert ist.«
Im Auto, noch die Salzkristalle auf dem Gesicht und den knirschenden Sand unter den Füßen, fragte sie mich: »Warum erzählst du mir nicht deine Geschichte?« Das Getriebe kreischte, als ich in den Rückwärtsgang schaltete. »Weil es nichts zu erzählen gibt.« Ich fühlte, wie sich ihre leichte Hand auf meinen Schenkel legte. »Hat der Schmerz, der dein Herz zerfrisst, keine Geschichte?«
Schweigend fuhren wir nach Rom zurück, ich brachte sie nach Hause, und als sie mir beim Aussteigen einen Kuss zuwarf und sagte: »Bis morgen!«, gab ich kein Zeichen der Zustimmung.
Kurz nachdem ich in meiner Wohnung angekommen war, verließ ich sie wieder, um mich unten im Geschäft mit dem einzudecken, was ich wenige Stunden vorher in den Ausguss gekippt hatte.
Larissa wusste nichts von dir. Nichts von Davide. Nichts von meinem früheren Leben. Mit den Jahren hatte sich die Leere, die du hinterlassen hattest, in eine Kathedrale aus Granit verwandelt, und diese Kathedrale hatte weder Türen noch Fenster – es gab keine Möglichkeit, sie zu betreten. Man konnte nicht hinein und nicht heraus. Ein Teil von mir war darin gefangen, so wie die Höhlenforscher, die ihrer eigenen Kühnheit zum Opfer fallen. Am Anfang gab es noch genügend Sauerstoff und Raum, um die elementaren Körperbewegungen auszuführen. Dann war der Felsen enger geworden, die Luft dünner – ich hätte hinausgehen müssen, um zu überleben, stattdessen habe ich es vorgezogen, drinnen zu bleiben. So setzten die Verkalkungsprozesse ein, ich trat einen Teil meiner selbst an den Felsen rundherum ab, und durch Osmose drang der Fels in mich ein. Mit den Jahren verwandelte sich alles Lebendige allmählich in Granit, und es war ein in den Tiefen der Erde verschanzter Granit – alles war dunkel, stumpf, taub und konnte nur Frost ausstrahlen. Diese Kathedrale aus Granit macht mich so durstig. Das unheimliche Gewicht – das ich seit über zehn Jahren in mir trug wie ein nie geborenes Kind – hatte meine Handlungsfähigkeit zunichtegemacht und mich in ein Opfer verwandelt. Alles in allem hatte ich mich an die Rolle gewöhnt, und zudem hatte ich auch ihre trägen Vorteile lieb gewonnen.
Was ich noch nicht wusste, war, dass sich die Osmose an einem bestimmten Punkt des Prozesses umkehrt und sich das Gesicht des Henkers über das des Opfers legt.
So begann mit Larissa ein Auf und Ab – auf die Fluchten folgten Momente
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