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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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die Erinnerung festhalten, die seit ›Bills‹ Hinausgehen durch die Tür den langsamen Prozess ihrer Verdämmerung begonnen haben dürfte, deshalb hatte sie bestimmt das Video laufen lassen, das ich unterbrochen hatte. ›Vielleicht morgen‹, dachte ich, ›vielleicht ist sie morgen eher bereit, zu reden und mir zu erzählen, nicht, dass es mir so wichtig wäre, das ist auch wieder wahr, in Wirklichkeit ist meine Aufgabe beendet, ich musste das ernst nehmen, was sie ernst nahm, ihr helfen, zu demjenigen zu kommen, zu dem sie kommen und den sie womöglich gewinnen wollte. Das ist alles. Mein Aufenthalt hier ist ebenfalls fast zu Ende, ich werde in einer Woche abreisen und wahrscheinlich erst in einem Jahr wiederkommen, und dann wird sie mir alles erzählen, wie etwas, das der Vergangenheit angehört, etwas Verzeihliches und Harmloses, das uns zum Lächeln bringen wird und von dem wir ein wenig das Gefühl haben werden, dass nicht wir es gewesen sind, die daran teilgenommen oder es getan haben, etwas, das man vielleicht ganz erzählen kann, von Anfang bis Ende, nicht wie jetzt, da es geschieht, und man nicht weiß.‹ Aber ich wusste, dass ich nicht zu Bett gehen konnte, ohne sie noch zwei Dinge zu fragen, wenigstens zwei. »Hatte er Präservative dabei?«, sagte ich. Im Halbdunkel schien mir, als errötete Berta, sie schaute mich mit der Röte an, die ihr gefehlt hatte, als sie sie von mir erbeten hatte, auch – glaube ich, ich sah nur durch die Kamera – als ich sie gefilmt hatte. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich habe ihm keine Zeit gelassen, bevor er sie rausholen konnte, habe ich meine rausgeholt, die du mir gegeben hast. Danke.« Und das ›danke‹ war zweifellos schamrot. »Und Miriam? Konntest du ihn nach Miriam fragen?« Berta interessierte das nicht mehr, sie hatte es vergessen, sie machte eine Geste, als wollte sie sagen: ›Das ist so viele Jahre her‹, der Name Miriam war ihr vermutlich zu Beginn des Abends entfallen, bestimmt brachte sie keine Nachricht mit. »Ja«, antwortete sie, »ich habe diesen Namen erwähnt, als gehörte er einer Freundin aus Spanien. Aber es sah nicht so aus, als würde er etwas bedeuten, und ich habe nicht insistiert, du hast mir gesagt, ich sollte nicht insistieren.« Jetzt fragte sie mich nicht mehr, worum es sich handelte oder was ich vermutete oder wüsste (sie sagte nicht zu mir ›Schieß los‹ oder ›Raus damit‹ oder ›Erzähl‹), zu viele Stunden waren vergangen, die meine Einbildung oder Vorstellung ausgelöscht hatten. Sie hatte sich wieder auf dem Sofa zurückgelehnt, sie musste müde sein von der langen Nacht des Kennenlernens und davon, das Hinken barfuß zu unterdrücken. Ich sah ihre auf das Sofa hochgezogenen Füße, lange Zehen, hübsche Füße, sauber für ›Bill‹ – sie hatten den Asphalt nicht betreten –, sie machten Lust, sie zu berühren. Ich hatte sie vor sehr langer Zeit berührt (hätte ich sie daran erinnert, sie hätte die gleiche Geste gemacht: ›Das ist so lange her‹), es waren noch immer dieselben Füße, auch nach dem Unfall, wie viele Schritte mochten sie getan haben, wie viele Male mochten sie in fünfzehn Jahren berührt worden sein. Vielleicht hatte ›Bill‹ sie eben erst berührt, vielleicht nur zerstreut, während sie miteinander sprachen, nachdem sie mich auf die Straße gesetzt hatten, über was, sie hatten nicht über die sichtbare Arena gesprochen, worüber denn, vielleicht über mich, vielleicht hatte Berta ihm meine ganze Geschichte erzählt, um über etwas zu reden, auf dem Kopfkissen verrät und verkauft man die anderen, ihre größten Geheimnisse werden offenbart, und man äußert nur die Meinung, die dem Zuhörer schmeichelt und die Geringschätzung alles Übrigen beinhaltet: alles, was nicht zu diesem Territorium gehört, wird entbehrlich und zweitrangig, wenn nicht verachtenswert, es ist der Ort, an dem man am meisten den Freunden und den vergangenen und auch den gegenwärtigen Lieben abschwört, so wie Luisa mich verleugnet und herabgesetzt hätte, wenn sie mit Custardoy das Kissen geteilt hätte, ich war weit weg, in einem anderen Land jenseits des Ozeans, die Erinnerung an mich verdämmert, mein Kopf abwesend, ohne eine Spur zu lassen acht Wochen lang, sie hatte sich gewiss daran gewöhnt, diagonal zu schlafen, quer auf dem Bett, dort war niemand seit geraumer Zeit, und es ist nicht schwer, jemanden nicht wichtig zu nehmen, der nicht da ist, zumindest sprachlich, in der Erzählung, so wie es für

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