Mein Herz so weiß
beobachten. Es war nichts aufzuräumen, es sei denn, den Flacon Eau de Guerlain auf dem Tisch, die offene Schachtel. Ich griff nach meinem Buch, meiner CD , der Zeitung, um sie in mein Zimmer mitzunehmen. Ich trug noch immer den Mantel.
»Gute Nacht«, sagte ich. »Bis morgen.«
»Bis morgen«, antwortete Berta.
Sie blieb, wo sie war, zurückgelehnt auf dem Sofa vor der Lachmaschine, müde, die Füße hochgezogen und mit offenem Morgenmantel, vielleicht mit ihren Gedanken bei der neuen konkreten Zukunft, die sie in dieser Nacht noch nicht enttäuschen konnte. Oder vielleicht dachte sie nicht. Ich ging einen Moment ins Badezimmer, und während ich mir die Zähne putzte und das Wasser aus dem Hahn die übrigen Geräusche dämpfte, schien mir, als summte sie ein wenig vor sich hin, zerstreut, mit den typischen Unterbrechungen desjenigen, der summt, ohne sich dessen gewahr zu werden, während er sich sorgfältig wäscht oder jemanden an seiner Seite streichelt, obwohl Berta sich nicht wusch (sie wollte vielleicht einen Geruch zurückhalten) und an ihrer Seite niemand mehr war. Und was sie vor sich hin summte, war in Englisch, es war:
›In dreams I walk with you. In dreams I talk to you‹
, der Beginn eines bekannten, vielleicht fünfzehn Jahre alten Schlagers. Ich ging in jener Nacht nicht noch einmal durch das Wohnzimmer, ich ging direkt aus dem Badezimmer in mein Schlafzimmer. Ich zog mich aus, ich legte mich ins Bett ohne jeden Geruch, ich wusste, dass ich erst nach sehr langer Zeit würde einschlafen können, ich bereitete mich auf die Schlaflosigkeit vor. Ich hatte die Tür angelehnt gelassen, wie immer, damit Luft hereinkommen konnte (das Fenster gezwungenermaßen geschlossen in New York in den Straßen, in den niederen Stockwerken). Und dann, als ich wacher war als in jedem anderen Augenblick der ganzen Nacht und kein Laut mehr zu vernehmen war, hörte ich abermals sehr leise, wie durch die Wand hindurch, die Stimme von ›Bill‹ oder die Stimme von Guillermo, die vibrierende Stimme des Gondelsängers, die Stimme wie eine Säge, die ihre schneidenden Sätze in Englisch vom Bildschirm her wiederholte. Die Wirkung war düster. ›Das ist so. Wenn deine Titten und deine Möse und dein Bein mich überzeugen, dass es sich lohnt, das Risiko einzugehen. Wenn es dich noch interessiert. Vielleicht willst du nicht weitermachen. Du wirst denken, dass ich sehr direkt bin. Brutal. Grausam. Ich bin nicht grausam. Ich kann nicht viel Zeit verlieren. Ich kann nicht viel Zeit verlieren.‹
A cht Wochen sind nicht viel Zeit, aber sie sind mehr als es scheint, wenn sie zu weiteren acht hinzukommen, von denen sie ihrerseits nur elf oder zwölf trennen. Meine nächste achtwöchige Reise führte mich im Februar nach Genf und ist die letzte gewesen. Ich würde es gern sehen, wenn sie es für lange Zeit blieben, es hat keinen Sinn, dass Luisa und ich geheiratet haben, wenn wir so viel getrennt sind, wenn ich ihren ehelichen Veränderungen nicht beiwohnen noch mich an sie gewöhnen kann und Verdacht hege, den ich später ausschalte. Ich frage mich, ob ich mich ebenfalls verändere, ich bemerke es nicht, ich nehme an, dass es so ist, da Luisa sich im Oberflächlichen verändert (Schulterpolster, Frisur, Handschuhe, Farbton des Lippenstifts), die Wohnung sich verändert, deren so künstliche Einweihung schon ein wenig ferngerückt ist, die Arbeit sich verändert, meine ist mehr geworden, und ihre ist weniger geworden oder hat so gut wie ganz aufgehört (sie sucht etwas in Madrid, etwas Festes): seit meiner Abreise nach New York bis zu meiner Rückkehr aus Genf, das heißt zwischen Mitte September und fast Ende März, hat sie eine einzige arbeitsbedingte Reise gemacht, und die dauerte nicht Wochen, sondern Tage, nach London, um den offiziellen Übersetzer unseres bekannten hohen Würdenträgers zu vertreten, der unpassenderweise von seinen Kindern mit Windpocken angesteckt worden war (jetzt hat der Würdenträger einen offiziellen Dolmetscher zu seiner ausschließlichen Verwendung, den Posten hat ein Intrigant mit unklarem Namen bekommen – genialer Übersetzer, das allerdings –, denn seit er ihn erhalten hat, lässt er sich bei seinen beiden Familiennamen nennen, De la Cuesta y de la Casa), der eine Blitzreise machte (der hohe Würdenträger, nicht der windpockige Dolmetscher, dem man wegen Ansteckungsgefahr die Einreise verwehrt hätte), um seiner kürzlich abgesetzten Kollegin zu kondolieren und nebenbei mit ihren Nachfolgern
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