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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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einzugreifen. Ich dachte, dass die Tugend, die Luisa meinem Vater zuschrieb, auch Custardoy dem Jüngeren eigen war: Er erzählte, wenn er wollte, völlig unglaubliche Geschichten, mit denen er gewiss meinen Vater unterhielt, mir selbst hatte er in der Kindheit und Jugendzeit unzählige erzählt, und kürzlich eine über Ranz und meine Tante Teresa und eine andere Frau, mit der ich nicht verwandt bin, in gewissem Sinne über mich selbst (vielleicht war auch diese Geschichte meine; vielleicht würde Luisa ihm gern zuhören, Custardoy dem Jüngeren).
    Ranz erstarrte nicht mitten im Lachen, vielmehr lachte er zu lange weiter, künstlich, als wollte er Zeit gewinnen und entscheiden, auf welchen Teil der Worte Luisas er antworten sollte und wie (oder ob auf alles oder auf nichts). Er lachte, als es nicht mehr passte, selbst das Unübersetzbare und nicht Zensierbare hat seine Dauer, und darin kann seine Bedeutung liegen.
    »Man hat mich nicht so geliebt«, sagte er schließlich in einem ganz anderen Ton, als er bei ihm üblich war, so als zögerte er noch. Hätte er mir geantwortet, dann hätte er keine Sekunde gezögert oder weitergelacht (beides war ein Zeichen von Respekt, Respekt für Luisa). »Und wenn, dann habe ich es nicht verdient«, fügte er hinzu, und dieser Satz schien nicht seiner Koketterie zu entstammen: Ich kannte sie zu gut, um nicht zu erkennen, was ihr geschuldet war.
    Luisa hatte den Mut, zu insistieren, wobei sie ein wenig Respekt verlor (oder womöglich war es eine Form, mich wissen zu lassen, dass ihre Erkundung im Gang war und sie nicht mit ihr aufhören würde, was ich auch denken mochte: Die Geschichte konnte ihre sein, wenn ich sie nicht übernahm, Ranz hatte begonnen, es zu sein. Vielleicht war es ein weiteres Zeichen von Respekt, Respekt mir gegenüber, dass sie mit dem Ingangsetzen gewartet hatte, bis ich dabei war, als wäre es ihr lieber, klarzustellen: ›Ab jetzt werde ich in dieser Sache nicht auf dich hören.‹).
    »Aber ich habe gehört, dass Sie außer mit der Frau, die meine Schwiegermutter gewesen wäre, mit ihrer Schwester verheiratet waren. Es ist bestimmt nicht leicht, von zwei Schwestern geliebt zu werden. Und wie viele andere Frauen mögen Sie noch geliebt haben, vorher.«
    Der Ton Luisas war ein scherzhafter Ton, leicht, spöttisch, wie man ihn oft gegenüber alten Menschen benutzt, wenn man sie erheitern und aufmuntern möchte, ein liebevoll-ironischer Ton, den auch Ranz gegenüber anderen und gegenüber sich selbst gebrauchte, vielleicht um sich aufzumuntern. Aber der seiner Antwort war einen Moment lang ein anderer. Er schaute mich rasch mit seinem feurigen Blick an, wie zur Bestätigung, dass die von Luisa erhaltene Information von mir stammte und keine andere sein konnte als die, die ich besaß. So musste es sein, es war nicht verwunderlich: über die anderen erzählt man sich alles auf dem Kopfkissen. Aber ich machte ihm kein Zeichen. Dann sagte er:
    »Glaub ja nicht, die jüngeren Schwestern fressen oft einen Narren an dem, was die älteren haben. Ich sage nicht, dass es so war, aber an sich ist die Sache nicht verdienstvoll, eher im Gegenteil.«
    »Und vorher?«, insistierte Luisa abermals, und es war offensichtlich, dass sie nicht erwartete, er würde ihr in diesem Augenblick etwas erzählen, zumindest nichts Wesentliches, Ranz stand im Begriff, zu einem Abendessen zu gehen, es schien eher, als würde sie das Terrain vorbereiten und ihm etwas für die konkrete oder unmittelbare Zukunft ankündigen. Ich war überrascht, sowohl über ihre Beharrlichkeit als auch über die Reaktion meines Vaters. Ich musste an jenen Tag denken, an dem er mich fast aus einem Restaurant geworfen hatte, weil ich versucht hatte, ihn über die Vergangenheit zu befragen (›Ich will in Ruhe und heute, nicht an einem Tag vor vierzig Jahren essen‹), eine Vergangenheit, die weniger alt war als die, nach der Luisa ihn jetzt fragte. Ranz schaute mich abermals an, als zweifelte er jetzt an mir als Informationsquelle oder wüsste nicht, ob es sie wirklich gab. Ich machte ihm kein Zeichen. Er fand zu seinem gewöhnlichen Ton zurück und antwortete mit einer übertriebenen Gebärde seiner zigarettenbewehrten Hand:
    »Vorher? Vorher ist so alt, dass ich mich nicht mehr erinnern kann.«
    In diesem Augenblick klingelte es, und während Luisa aufstand, um öffnen zu gehen, während sie auf die Tür zuging, um Custardoy den Jüngeren zu empfangen (›Das wird Custardoy sein‹, sagte mein Vater, während

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