Mein Herz so weiß
über das zu sprechen, von dem unsere Repräsentanten immer behaupten, sie würden es mit den Briten besprechen, Gibraltar und die IRA und die ETA . Luisa erzählt keine kaum glaublichen Geschichten – aber ich brauche es auch nicht von ihr –, und sie erzählte wenig von dem Gespräch, ich meine mir, da zu vermuten steht, dass die Dolmetscher, vereidigt oder nicht (aber mehr die Konsekutivdolmetscher als die Simultandolmetscher, es ist eine Rarität, dass ich beides bin, wenn auch Ersteres nur sehr gelegentlich, die Konsekutivdolmetscher hassen die Simultandolmetscher und die Simultandolmetscher die Konsekutivdolmetscher), nach außen hin alles verschweigen, was sie im Innern eines Zimmers vermitteln, es sind bewährte Leute, die keine Geheimnisse verraten. Mir konnte sie es jedoch erzählen. »Es war öde«, sagte sie über das Gespräch, das noch im offiziellen Wohnsitz stattgefunden hatte, den die britische Staatenlenkerin sich innerhalb von Tagen zu verlassen anschickte: es standen halbvolle Umzugskisten um sie herum. »So als würde er sie nur noch wie eine alte Freundin ohne Verantwortungen und Zuständigkeiten sehen und als wäre sie zu traurig, um auf seine brennenden Probleme einzugehen, vermutlich sehnte sie sich jetzt schon nach ihnen zurück.« Es hatte nur eine Reminiszenz an die persönliche Unterhaltung gegeben, zu der ich sie hingeführt hatte an dem Tag, da ich Luisa kennenlernte. Anscheinend hatte die englische Staatenlenkerin abermals ihren Shakespeare zitiert, wieder
Macbeth
, den sie offenbar ständig las oder im Theater sah: »Erinnern Sie sich«, hatte sie zu ihm gesagt, »was Macbeth behauptet, gehört zu haben, als er Duncan umbrachte? Es ist sehr berühmt.« – »Ich glaube, im Augenblick erinnere ich mich nicht daran, aber wenn Sie mein Gedächtnis auffrischen wollen …«, hatte sich unser Repräsentant entschuldigt. »Macbeth glaubt, eine Stimme gehört zu haben, die rief:
›Macbeth does murder sleep, the innocent sleep‹
(was Luisa unserem hohen Würdenträger übersetzt hatte mit ›Macbeth mordet den Schlaf, den unschuldigen Schlaf‹). Genauso«, fügte die Dame hinzu, »habe ich mich bei meiner unerwarteten Absetzung gefühlt, ermordet, während ich schlief, ich war der unschuldige Schlaf, der darauf vertraute, umgeben von Freunden zu ruhen, von Menschen, die über mich wachten, und es waren dieselben Freunde, die mich wie Macbeth, Glamis, Cawdor im Schlaf erdolcht haben. Die schlimmsten Feinde sind die Freunde, mein Freund«, hatte sie unseren Staatenlenker, dessen Weg von ausgelöschten Freunden gesäumt war, unnötigerweise gewarnt, »trauen Sie niemals denen, die Ihnen am nächsten stehen, denen, die man scheinbar nicht zu zwingen brauchte, einen zu lieben. Und schlafen Sie nicht ein, die Jahre der Sicherheit bringen uns dazu, wir gewöhnen uns daran, uns außer Gefahr zu fühlen. Ich bin einen Augenblick im Gefühl der Sicherheit eingeschlafen, und Sie sehen ja, was mir passiert ist.« Und die Ex-Würdenträgerin wies mit einer eindrucksvollen Gebärde auf die offenen Kisten in ihrem Umkreis, als wären sie der Ausdruck der Schmach oder der bei ihrer Ermordung vergossenen Blutstropfen. Kurz darauf verließ ihr spanischer Ex-Kollege sie, um ein Gespräch mit ihrem Nachfolger oder, was das Gleiche ist, mit ihrem Macbeth, Glamis, Cawdor zu führen.
Das war die einzige Arbeit Luisas in dieser langen Zeit, wenn sie auch zweifellos nicht untätig war: Die Wohnung war jedes Mal mehr Wohnung und sie jedes Mal mehr eine richtige Schwiegertochter, obwohl ich auch das nicht von ihr brauchte.
In Genf habe ich weder Freund noch Freundin, die dort ständig in einer Wohnung leben, weshalb die Wochen meiner Dolmetschtätigkeit für die Menschenrechtskommission des ECOSOC (eine Abkürzung, die in einer der Sprachen, die ich spreche, wie die Übersetzung von etwas Absurdem klingt, ›Echosocke‹) in einem winzigen möblierten, gemieteten Appartement vergingen und mit keiner anderen Unterhaltung als Spaziergängen durch die leere Stadt in der Abenddämmerung, Filmen mit Untertiteln in drei Sprachen, dem einen oder anderen Abendessen mit Arbeitskollegen oder alten Freunden meines Vaters (der auf all seinen Reisen Leute kennengelernt haben muss) und Fernsehen, immer und überall Fernsehen, es ist das Einzige, was niemals fehlt. Wenn die acht Wochen in New York erträglich und sogar angenehm und spannend gewesen waren durch die Nähe und die Geschichten Bertas (die ich, wie ich schon
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