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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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war es nicht, zumindest nicht das Letztere, denn als sie herauskam, hatte sie die Arme nicht voller Bettwäsche, sondern die Hände in den Taschen des Morgenmantels, eines seidenen, lachsfarbenen Morgenmantels, ich glaube, mit nichts darunter, vielleicht schlief sie lieber mit dem Geruch von ›Bill‹ in den Laken, wenn man Gerüche zurückbehalten möchte, scheinen sie immer zu rasch zu verfliegen. Sie roch nicht mehr nach Trussardi, sie roch nach Guerlain, als sie an mir vorbeiging, ich sah den Flacon (die offene Schachtel) auf dem Tisch, auf den wir die Post zu legen pflegten und auf den ich meine Zeitung, mein Buch, meine CD gelegt hatte: den Flacon, bei dessen Kauf ich dabei gewesen war. Er stellte die einzige materielle Spur von ›Bill‹ in der Wohnung dar. »Wie geht’s?«, fragte ich, ich konnte nicht länger damit warten, alles war mehr oder minder in Ordnung, obwohl man immer Dinge findet, die in der Wohnung zu tun sind. »Gut. Und du? Was hast du die ganze Zeit gemacht? Du musst halb tot sein vor Müdigkeit, du Armer.« Ich erzählte ihr flüchtig mein Herumgestreune, nicht meine Befürchtungen, ich zeigte ihr meine Einkäufe, ich sagte ihr nichts von meinem Warten. Ich wusste nicht, ob ich sie mehr fragen sollte, sie schien plötzlich die Scham zu haben, die sie in den vorangehenden Wochen nicht gehabt hatte, noch am selben Abend, als sie mich um Präservative gebeten hatte (ich hatte sie im Mülleimer gesehen, zwei, als ich die Tüte wegwarf, sie wurden von ihr zugedeckt, sie würden nicht mehr sichtbar sein beim nächsten Gang zum Eimer, die Beschleunigung des Vergessens, bisweilen braucht man es nicht zu beschleunigen, die einen Dinge decken die anderen zu, genau wie beim Abfall, die herankommenden Minuten ersetzen nicht nur, sondern
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die vergangenen). Wie weit weg war mein Abendessen mit ihren Freunden und Freundinnen, mit Julia, sie erinnerte sich nicht, sie fragte mich nicht nach ihnen, ich fühlte mich nicht veranlasst, sie zurückzuholen für die kurze Unterhaltung, die man haben kann und gewöhnlich hat, bevor man zu Bett geht, egal, wie spät es ist. Es war sehr spät, obwohl Sonnabend war, besser, wir gingen zu Bett, schliefen, vergäßen im Schlaf oder Berta hielte die Erinnerung zurück. Aber ich wollte wenigstens ein bisschen wissen, das war auch meine Geschichte, und gleichzeitig war sie es nicht (also konnte ich wissen wollen und war gerettet). Ich war stundenlang unter einem Himmel umhergegangen, der unsichtbar in den Avenues und rötlich in den Straßen war, ich hatte dreimal im Stehen auf dem Marmor von Kenmore Station gewartet, ich war hinter seinen metallischen Schritten bis zum Hotel Plaza hergegangen, ich hatte mich sehen lassen, ich hatte ein Video gedreht, ich verdiente vielleicht, etwas zu wissen, ohne zu warten, dass die Zeit verginge. »Na, erzähl doch mal«, sagte ich. »Nein, es gibt nichts zu erzählen«, sagte sie. Sie war barfuß, und dennoch hinkte sie nicht, ihr Blick war leicht verträumt, oder sie war nur schläfrig. Sie wirkte ruhig, als dächte sie ohne Eile nach und ohne dass das Nachdenken sie anstrengte. Auf ihrem Gesicht lag ein gelassenes, einfältiges Lächeln, das Lächeln von jemandem, der sich vage und mit Wohlgefallen erinnert. »Er ist doch Spanier, nicht?«, sagte ich. »Ja, er ist Spanier«, antwortete sie, »das wussten wir schon.« – »Wie heißt er? Was macht er?« – »Er heißt Bill, dieser Name passt gut zu ihm, und er hat mir nicht gesagt, was er macht. Darüber haben wir nicht gesprochen.« – »Aber erzähl mir doch ein bisschen mehr, wie ist er? War er dir sympathisch? Hat er dich enttäuscht? Hat er dir Angst gemacht? Auf dem Video war er widerlich«, und ich wies auf das Programm mit der Lachmaschine, das mit leise gestelltem Ton noch immer zu hören war. »Das weiß ich noch nicht«, antwortete Berta, »das wird davon abhängen, was jetzt passiert.« – »Habt ihr verabredet, euch weiter zu sehen?« – »Ja, ich nehme an. Es gibt die Postfächer, und er kann mich anrufen, ich habe ihm die Telefonnummer gegeben.« Berta zeigte sich einsilbig wie eine Verliebte, die nicht teilt, die verbirgt und zurückhält; sie konnte es nicht sein, das war lächerlich, vielleicht vernarrt, oder vielleicht wollte sie gerade jetzt nicht reden, da er nach vier langen Stunden Gesellschaft gegangen war, in Wirklichkeit vier plus vier, sie hatten sich um halb neun getroffen. Vielleicht wollte sie allein an das denken, was geschehen war,

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