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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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besaß keinerlei Bedeutung für Luisa, und darin, in unserer Kenntnis oder unserem Verstehen dessen, was geschah und was durch die Balkontür und die Wand gesagt wurde, gab es jetzt zumindest einen sicheren Unterschied. Denn meine Großmutter pflegte mir jene kurze oder unvollständige Geschichte zu erzählen, die sie von ihren schwarzen Kindermädchen vernommen hatte und deren starke sexuelle Symbolik mir übrigens bis zu jenem Augenblick niemals aufgefallen war, dem Augenblick, da ich sie von Miriam hörte, oder, besser gesagt, da ich den traurigen und leicht komischen Gesang von ihr hörte, der zu jener Geschichte gehörte, die mir meine Großmutter erzählte, um mir eine wenig dauerhafte und scherzhaft gefärbte Angst einzujagen (sie lehrte mich die Angst und über die Angst zu lachen). Die Geschichte handelte davon, dass ein sehr reicher und gut aussehender Ausländer mit den besten Zukunftsaussichten, ein Mann, der sich mit dem größten Luxus und den ehrgeizigsten Plänen in Havanna niedergelassen hatte, um die Hand eines jungen Mädchens von großer Schönheit und noch größerer Armut anhielt. Die Mutter des Mädchens, eine Witwe, die von ihrer einzigen Tochter abhängig war oder vielmehr von der richtigen Wahl bei deren Heirat, konnte sich kaum fassen vor Freude und gewährte dem außergewöhnlichen Ausländer die Hand ihrer Tochter, ohne einen Augenblick zu zögern. Aber in der Hochzeitsnacht hörte die Mutter, wie im Zimmer der Frischverheirateten, an dessen Tür sie offenbar eine argwöhnische oder genussvolle Wache hielt, ihre Tochter ein ums andere Mal im Lauf der langen Nacht ihren Hilferuf sang: »Mamita mamita, yen yen yen, Schlange verschluckt mich, yen yen yen.« Die mögliche Bestürzung jener habsüchtigen Mutter wurde indes durch die wiederholte, wunderliche Antwort des Schwiegersohns beschwichtigt, der ihr ein ums andere Mal im Lauf der langen Nacht durch die Tür vorsang: »Lüge Schwiegermutter, yen yen yen, wir spielen nur ein Spiel, yen yen yen, wie in meinem Land, yen yen yen.« Am folgenden Morgen, als die Mutter und nunmehr Schwiegermutter beschloss, das Zimmer der Brautleute zu betreten, um ihnen das Frühstück zu bringen und ihre glücklichen Gesichter zu sehen, fand sie eine riesige Schlange auf dem blutgetränkten, zerwühlten Bett vor, in dem es dagegen nicht die geringste Spur ihrer unglücklichen und verheißungsvollen und geschätzten Tochter gab.
    Ich erinnere mich, dass meine Großmutter lachte, nachdem sie diese makabre Geschichte erzählt hatte, der ich vielleicht jetzt aufgrund meines Erwachsenenalters irgendein noch makabreres Detail hinzugefügt habe (ich glaube nicht, dass sie in irgendeiner Weise das Blut oder die Länge der Nacht erwähnte), sie lachte ein kleines kindliches Lachen und fächelte sich (vielleicht das Lachen ihrer zehn Jahre oder weniger, ihr noch kubanisches Lachen), und damit nahm sie der Geschichte etwas von ihrer Bedeutung und erreichte, dass ich mit meinen zehn Jahren oder weniger ihr ebenfalls keine gab, oder vielleicht war die Angst, die diese Geschichte einflößen konnte, nur eine weibliche Angst, eine Angst von Töchtern und Müttern und Ehefrauen und Schwiegermüttern und Großmüttern und Kinderfrauen, eine Angst, die zur gleichen Sphäre gehörte wie der instinktive Gesang der Frauen im Laufe des Tages und am Ende des Abends, in Madrid oder in Havanna oder sonst wo, jener Gesang, an dem auch die Kinder teilhaben und den sie später vergessen, wenn sie keine mehr sind. Ich hatte ihn vergessen, aber nicht ganz, denn man vergisst nur wirklich, wenn man sich auch dann nicht erinnert, nachdem man gezwungen wurde, sich zu erinnern. Ich hatte diesen Singsang während vieler Jahre vergessen, aber die zerstreute oder erschöpfte Stimme Miriams musste nicht insistieren oder sich anstrengen, damit meine Erinnerung ihn wiederfand auf meiner Hochzeitsreise mit meiner Frau Luisa, die krank im Bett lag und an jenem Abend mit fleischigem Mond die Welt von ihrem Kissen her sah oder vielleicht nicht bereit war, sie zu sehen.
    Ich kehrte zu ihr zurück und streichelte ihr Haar und ihren Nacken, die abermals verschwitzt waren, sie hatte das Gesicht den Schränken zugekehrt, vielleicht war es erneut von falschen Haarfalten durchzogen, die wie Vorboten aus der Zukunft gekommen waren, ich setzte mich an ihre rechte Seite und zündete eine Zigarette an, die Glut leuchtete im Spiegel, ich wollte mich nicht anschauen. Ihr Atem war nicht der von jemandem, der

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