Mein Herz so weiß
gekannt und behandelt hatte, um ihn als etwas anderes betrachten zu können, während er sie, die Braut, als bereits Erwachsene oder, mehr noch, als Braut kennengelernt hatte. Ich erinnere mich, dass er mich in einem Augenblick der Feier beiseitenahm, außerhalb des Salons, den wir in dem schönen alten Casino in der Calle Alcalá 15 gemietet hatten, in einem kleinen angrenzenden Raum, nach der Unterschrift der Zeugen (falsche Zeugen, Zeugnis ablegende Freunde, dekorative Zeugen). Er hielt mich mit einer Hand auf der Schulter zurück (eine Hand auf der Schulter), während alle hinausgingen und in den Salon zurückkehrten, bis wir allein waren. Dann schloss er die Tür und setzte sich in einen großen Lehnstuhl, und ich stützte mich auf den Tisch mit meinen verschränkten Armen, wir waren beide sehr hochzeitlich gekleidet, er mehr, ich weniger, obwohl sie standesamtlich gewesen war, nur eine standesamtliche Hochzeit. Ranz zündete sich eine dünne Zigarette an, eine von denen, die er in der Öffentlichkeit zu rauchen pflegte, ohne den Rauch zu inhalieren. Er hob gewaltig die Brauen, sie wurden ganz spitz, lächelte amüsiert und richtete den inbrünstigen Blick auf mein Gesicht, das in jenem Augenblick höher war als das seine. Und er sagte zu mir:
»Schön, nun hast du geheiratet. Und was jetzt?«
Er war der Erste, der diese Frage stellte, oder besser gesagt, die Frage formulierte, die ich mir seit dem Morgen, seit der Zeremonie und sogar vorher, seit dem Vorabend, stellte. Ich hatte die Nacht in einem oberflächlichen, unruhigen Schlaf verbracht, wahrscheinlich hatte ich geschlafen, aber mich schlaflos geglaubt, geträumt, dass ich nicht schlief, und war bisweilen wirklich aufgewacht. Gegen fünf Uhr am Morgen hatte ich nicht recht gewusst, ob ich das Licht einschalten sollte, denn da es Frühling war, sah ich unter dem hochgezogenen Rollladen bereits die Ankündigung der Morgendämmerung, die die Straße erreichte, und konnte meine Gegenstände und Möbel erkennen, die meines Schlafzimmers. ›Ich werde nicht mehr allein schlafen, nur gelegentlich oder auf Reisen‹, hatte ich gedacht, während ich nicht recht wusste, ob ich das Licht einschalten oder die Morgendämmerung über den Gebäuden und über den Bäumen aufsteigen sehen sollte. ›Von morgen an und vermutlich viele Jahre lang werde ich nicht den Wunsch haben können, Luisa zu sehen, weil ich sie schon sehe, sobald ich die Augen aufschlage. Ich werde mich nicht fragen können, welches Gesicht sie wohl heute hat oder wie sie gekleidet sein mag, weil ich ihr Gesicht von heute an sehen werde, und vielleicht werde ich sehen, wie sie sich anzieht, es kann sein, dass sie sich sogar so anzieht, wie ich ihr sage, wenn ich ihr meine Vorlieben nenne. Von morgen an wird es die kleinen Ungewissheiten nicht mehr geben, die fast ein Jahr lang meine Tage angefüllt haben oder bewirkt haben, dass die Tage auf die bestmögliche Weise gelebt wurden, das heißt im Zustand vager Erwartung und vager Unwissenheit. Ich werde zu viel wissen, ich werde mehr über Luisa wissen, als ich will, ich werde vor Augen haben, was mich an ihr interessiert und was mich nicht interessiert, es wird weder Auswahl noch Wahl geben, die geringfügige oder minimale tägliche Wahl, die darin bestand, sich anzurufen, sich zu verabreden, sich mit suchenden Augen am Eingang eines Kinos oder zwischen den Tischen eines Restaurants zu treffen oder aber sich zurechtzumachen und sich auf den Weg zu begeben, um sich zu besuchen. Ich werde nicht das Ergebnis, sondern den Prozess sehen, der mich womöglich nicht interessiert. Ich weiß nicht, ob ich sehen will, wie sie sich die Strumpfhose anzieht und sie an Taille und Leisten zurechtzupft, oder ob ich wissen will, wie viel Zeit sie morgens im Badezimmer verbringt, ob sie sich Cremes für die Nacht aufträgt oder welche Laune sie hat, wenn sie aufwacht und mich an ihrer Seite sieht. Ich glaube, abends will ich sie nicht im Nachthemd oder Schlafanzug unter den Laken vorfinden, sondern sie ihrer Straßenkleidung entkleiden, sie des Scheins berauben, der sie während des Tages umgeben hat, nicht des Scheins, den sie vor mir, allein mit mir in unserem Schlafzimmer, vielleicht mit dem Rücken zu mir angenommen hat. Ich glaube, ich will diese Zwischenphase nicht, so wie ich wahrscheinlich auch nicht zu genau wissen will, welches ihre Fehler sind, oder gezwungenermaßen über diejenigen informiert sein will, die sie im Verlauf der Monate und Jahre annimmt und von
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