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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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für einen verwelkten, gegen seinen Verfall rebellierenden Eroberer gehalten, oder vielleicht umgekehrt für einen theoretischen, niemals verbrauchten Frauenhelden, jemand, der vormals alle Voraussetzungen für ein intensives Liebesleben besaß, jedoch aus bewusster Treue heraus oder mangels wirklicher Gelegenheiten oder sogar mangels Entschlossenheit sich nicht zugrunde gerichtet hatte, indem er sich auf die Probe stellte; jemand, der ständig, wie das Alter, auch die Praktizierung seiner Verführungskünste hinausgeschoben hatte, vielleicht, um niemanden zu verletzen. (Aber wir Kinder wissen nichts von den Eltern, oder es dauert lange, bis wir uns interessieren.) Das Auffallendste an seinem Gesicht waren seine unglaublich wachen Augen, die bisweilen blenden konnten durch die Hingabe und Beharrlichkeit, mit der sie zu schauen vermochten, als wäre das, was sie in jedem Augenblick sahen, äußerst bedeutsam, nicht nur sehenswert, sondern wert, eingehend studiert, in ausschließlicher Weise beobachtet, wahrgenommen zu werden, als wollte er jedes erfasste Bild im eigenen Gedächtnis speichern wie eine Kamera, die bei der Aufnahme des Wahrgenommenen nicht auf ihren bloßen Mechanismus vertrauen könnte, sondern sich sehr anstrengen, das ihrige dazutun müsste. Diese Augen liebkosten, was sie betrachteten. Diese Augen besaßen eine sehr helle Farbe, aber ohne einen Tropfen Blau darin, ein so blasses Braun, dass es vor lauter Blässe klar und glänzend war, fast von der Farbe weißen Weins, wenn er nicht jung ist, und das Licht sie zum Leuchten brachte, im Schatten oder in der Dunkelheit fast essigfarben, Augen, die an Flüssiges denken ließen, eher einem Raubvogel zugehörig als einer Katze, den Tieren, bei denen diese Farbskala am meisten vertreten ist. Aber seine Augen hatten nicht die Starrheit oder die Perplexheit dieser Blicke, sie waren vielmehr beweglich und funkelnd, geschmückt mit langen dunklen Wimpern, welche ihre ständigen Bewegungen weniger rasch und angespannt erscheinen ließen, sie blickten mit Ehrerbietung und Beharrlichkeit, und gleichzeitig entging ihnen nichts von dem, was im Zimmer oder auf der Straße passierte, wie den Augen des erfahrenen Bildbetrachters, der keinen zweiten Blick braucht, um zu wissen, was im Hintergrund des Bildes dargestellt ist, sondern mit seinen alles umfassenden Augen die Komposition auf der Stelle, kaum dass er sie erblickt hat, reproduzieren könnte, wenn sie nur imstande wären, zu zeichnen. Das andere auffallende Merkmal des Gesichts von Ranz und das Einzige, das ich geerbt habe, war sein Mund, der fleischig war und zu stark konturiert, als wäre er im letzten Augenblick hinzugefügt worden und gehörte einer anderen Person, leicht abweichend von den übrigen Gesichtszügen, getrennt von ihnen, ein Frauenmund in einem Männergesicht, wie man mir so oft über meinen gesagt hat, ein weiblicher, ein roter Mund, der von wer weiß welcher Urgroßmutter oder Urahnin stammen mochte, einer eitlen Frau, die nicht zuließ, dass er mit ihr aus der Welt verschwand und ihn an uns weitergegeben hatte, ungeachtet unseres Geschlechts. Und es gab noch ein drittes Merkmal, die dichten und immer hochgezogenen Augenbrauen, entweder die eine oder die andere oder beide gleichzeitig, ein Mienenspiel, das er wahrscheinlich in seiner Jugend von den ersten Schauspielern zu Beginn der dreißiger Jahre gelernt hatte und das nach Ablauf dieses Jahrzehnts eher wie eine merkwürdige unfreiwillige Eigenart wirkte, ein Detail, das die systematische Auslöschung überlebt hat, der uns die Zeit unterwirft, die Auslöschung dessen, was wir werden und tun. Mein Vater hob die dichten Brauen, die zunächst strohfarben und dann weiß waren, aus jedem beliebigen Grund oder auch ohne Grund, als wollte er damit seine übergenaue Art zu schauen komödiantisch ergänzen.
    Auf diese Weise hat er mich immer angeschaut, seit meiner Kindheit, als ich meinen Blick zu seiner großen Höhe heben musste, es sei denn, er hätte sich gebückt oder gesessen oder gelegen. Jetzt ist unsere Statur die Gleiche, aber seine Augen schauen mich noch immer mit der leichten Ironie seiner wie offene Sonnenschirme gespannten Brauen und der funkelnden Starrheit seiner Pupillen an, schwarze Flecken seiner Sonneniris, wie zwei Mittelpunkte einer einzigen Zielscheibe. Oder so schaute er bis vor kurzem. So schaute er mich am Tag meiner Hochzeit mit Luisa an, der jungen Ehefrau dessen, der kein Kind mehr war, den er jedoch zu lange als Kind

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