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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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fortgegangen bin, habe ich vor einem Spiegel ein Glas Rheinwein, einen Riesling, auf euch erhoben, nur deshalb habe ich die Flasche aufgemacht, der Rest wird verderben. Daran siehst du, wie sehr ich mich freue, eine gute Flasche verderben lassen für einen kleinen einsamen Trinkspruch am frühen Morgen.«
    Und nachdem er dies gesagt hatte, hob er die Brauen mit unschuldiger Miene, wobei die Unschuld dieses Mal eine Mischung aus Selbstgefälligkeit und vorgespiegeltem Erstaunen war.
    »Was willst du mir also sagen?«
    »Nichts Besonderes, nichts Besonderes. Ich wollte ein paar Minuten allein mit dir sein, sie werden uns nicht vermissen, nach der Zeremonie sind wir nicht mehr wichtig, die Hochzeitsfeiern gehören den Gästen, nicht denen, die heiraten und sie veranstalten. Es war eine gute Idee, hierher zu kommen, nicht wahr? Ich wollte dich nur fragen, was ich dich gefragt habe, und was jetzt? Aber du antwortest mir nicht.«
    »Nichts jetzt«, sagte ich. Ich war leicht verärgert über seine Haltung, und ich hatte auch Lust, zu Luisa und zu meinen Freunden zurückzukehren, Ranz’ Gesellschaft brachte mir keine Erleichterung in dem Maße, wie ich etwas Erleichterung benötigte. Einerseits war es typisch für meinen Vater, mich zum unpassendsten Zeitpunkt beiseitezunehmen, andererseits war es untypisch. Es war ein wenig untypisch, dass er sich nicht darauf beschränkt hatte, mir auf die Schulter zu klopfen und mir Glück zu wünschen, auch wenn es rhetorisch gewesen wäre und mehrere Minuten gedauert hätte. Er zog sich die Sportstrümpfe über die Hose, bevor er mit Umsicht die langen Beine übereinanderschlug.
    »Nichts? Wieso nichts? Komm, so kann man doch nicht anfangen, etwas wird dir einfallen, du hast mit dem Heiraten gewartet und hast es schließlich getan, vielleicht machst du es dir nicht klar. Wenn du fürchtest, mich zum Großvater zu machen, sei unbesorgt, ich glaube, mein Alter ist nicht unpassend für eine solche Aufgabe.«
    »Hast du das gemeint, mit was jetzt?«
    Ranz berührte sein polares Haar mit leichtem Dünkel, wie er es zuweilen ohne Vorsatz tat. Er strich es sich zurecht oder machte vielmehr Anstalten, darüber zu streichen, er berührte es kaum mit den Fingerkuppen, als hätte er die unbewusste Absicht, es zu richten, fürchtete sich jedoch vor der Berührung, die sie ihm bewusst machen würde. Er trug einen Kamm bei sich, aber er benutzte ihn nicht vor Zeugen, mochte der Zeuge auch sein Sohn sein, das Kind, das keines mehr war oder es in seinen Augen noch immer war, obwohl es bereits die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte.
    »Aber nein, überhaupt nicht, ich habe keine Eile, auch ihr dürft keine haben, nicht, dass ich mich einmischen wollte, aber das ist meine Meinung. Ich will nur wissen, wie du diese neue Situation in Angriff nimmst, gerade jetzt, wo sie da ist. Das ist alles, Neugier.«
    Und er hob mir die offenen Handflächen entgegen, wie jemand, der zeigt, dass er nicht bewaffnet ist.
    »Ich weiß nicht, ich nehme sie in keiner Weise in Angriff, ich werde es dir später sagen. Es ist zu erwarten, glaube ich, dass ich mich das am heutigen Tag nicht frage.«
    Ich hatte mich auf den Tisch gestützt, auf ihm waren die nutzlosen Unterschriften der späten Zeugen zurückgeblieben. Ich richtete mich ein wenig auf, das erste Zeichen, dass ich die Unterhaltung für beendet hielt und zum Fest zurückkehren wollte; aber er schloss sich meiner Gebärde nicht an, indem er seinerseits die Zigarette ausdrückte oder sich gerade hinsetzte. Nach seinem Dafürhalten sollte das Gespräch noch ein wenig fortgesetzt werden. Ich dachte, dass er mir etwas Konkretes sagen wollte, aber nicht wusste, wie, oder nicht überzeugt war, ob er es mir sagen wollte. Das war allerdings sehr typisch für Ranz, der oftmals andere zwang, auf Fragen zu antworten, die er nicht formulierte, oder ein von ihm nicht erwähntes Thema aufs Tapet zu bringen, auch wenn dieses Thema das einzige war, das in seinem markanten, mit Talkum bestäubten Kopf herumging. Ich kannte ihn zu gut, um es ihm leicht zu machen.
    »Zu erwarten«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass irgendetwas zu erwarten ist. Ich zum Beispiel habe nicht mehr erwartet, dass du heiraten würdest. Noch vor einem Jahr hätte ich dagegen gewettet, schön, ich hab’s getan mit Custardoy und brieflich mit Rylands, und ich habe ein wenig Geld verloren, siehst du. Die Welt ist voller Überraschungen, auch voller Geheimnisse. Wir glauben, dass wir die Menschen, die uns

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