Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
es hinmache«, wiederholte Mateu und drohte Saskia mit dem Feuerzeug.
    »Das Bild ist sehr wertvoll, Mateu. Es ist Millionen wert«, sagte Ranz. Er wollte sehen, ob die Erwähnung des Geldes ihn wieder zur Vernunft brachte.
    Aber der Wärter spielte weiter mit dem Feuerzeug, ließ es brennen, verlöschen, brennen, entschloss sich, den Rahmen noch mehr anzusengen, einen sehr guten, alten Rahmen.
    »Das auch noch«, antwortete er verächtlich. »Diese Scheißdicke ist auch noch Millionen wert, es ist zum Kotzen.«
    Der gute Rahmen geschwärzt. Mein Vater dachte daran, ihm jetzt mit dem Gefängnis zu kommen, aber verwarf es sogleich wieder. Er dachte einen Moment nach, dachte noch einen Moment nach und änderte schließlich seine Taktik. Plötzlich hob er den Feuerlöscher vom Boden auf und sagte:
    »Sie haben recht, Mateu, ich gebe Ihnen recht. Aber verbrennen Sie es nicht, andere Gemälde könnten Feuer fangen. Lassen Sie mich machen. Ich werde es mit dem Feuerlöscher hinmachen, der wiegt einiges. Die Dicke wird schön was abkriegen und zum Teufel gehen.«
    Und Ranz hob den Feuerlöscher und hielt ihn mit beiden Händen in die Höhe, wie ein Gewichtheber, bereit, ihn mit aller Wucht gegen Sofonisba und gegen Artemisia zu schmettern.
    In diesem Augenblick wurde Mateu ernst.
    »Hehe«, sagte er streng, »was machen Sie denn da, so werden Sie das Gemälde beschädigen.«
    »Ich hau es in Stücke«, sagte Ranz.
    Es folgte ein Moment der Ungewissheit, mein Vater mit den in der Luft schwebenden Armen, den knallroten Feuerlöscher haltend, Mateu mit dem noch brennenden Feuerzeug in der Hand, in der Luft schwebend die flackernde Flamme. Er schaute meinen Vater an, er schaute das Gemälde an. Ranz konnte das Gewicht nicht länger aushalten. In diesem Augenblick ließ Mateu das Feuerzeug verlöschen, steckte es in die Tasche, breitete die Arme aus wie ein Ringkämpfer und sagte drohend:
    »Ruhig da, ruhig, ja? Zwingen Sie mich nicht.«
    Mateu wurde nicht entlassen, weil mein Vater über diesen Vorfall nicht informierte, auch der Wärter beschuldigte ihn nicht öffentlich, er habe den Rembrandt mit einem kaputten Feuerlöscher demolieren wollen. Niemand sonst bemerkte den angesengten Rahmen (höchstens irgendein indiskreter Besucher, dem man empfahl, keine Fragen zu stellen, und der bestochene Ersatzmann), und nach kurzer Zeit wurde er durch einen sehr ähnlichen ausgetauscht, der allerdings nicht alt war. Wenn Mateu fünfundzwanzig Jahre lang ein sorgsamer Wächter gewesen war, dann gab es für Ranz keinen Grund, dass er es nach einem vorübergehenden Wutanfall nicht auch weiter sein konnte. Mehr noch, er schrieb dessen Tat und Attentat dem Mangel an Taten und Attentaten zu und sah einen Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit in dem Umstand, dass in dem Augenblick, da er das Gemälde, dem sein Groll galt, von einer anderen Person bedroht gesehen hatte, die noch dazu ein Vorgesetzter war, sein Verantwortungsgefühl als Wachhabender über seinen aufrichtigen Wunsch, Artemisia zu verbrennen, obsiegt hatte. Er wurde sofort in einen anderen Saal versetzt, wo die Primitiven hingen, deren Gestalten weniger rund sind und nicht so leicht in Rage bringen (und einige sind palinschematisch, das heißt sie erzählen auf ein und derselben Oberfläche oder Fläche ihre ganze Geschichte). Im Übrigen beschränkte mein Vater sich darauf, ihm noch mehr Interesse entgegenzubringen, ihm angesichts des näher rückenden Alters Mut zu machen und kein Auge von ihm zu lassen während der Feste, die zweimal im Jahr, an einem Tag, an dem das Museum geschlossen war, für das gesamte Museumspersonal veranstaltet wurden, vorzugsweise im großen Velázquez-Saal. Sämtliche Angestellten, angefangen beim Direktor (der nur eine Minute lang erschien und eine schlaffe Hand reichte) bis zu den Putzfrauen (welche am lautesten waren und den größten Spaß hatten, denn sie mussten später dableiben, um die Verwüstungen zusammenzukehren) versammelten sich mit ihren jeweiligen Familienangehörigen, um auf einer Art halbjährlichem Volksfest zu trinken und zu essen und zu plaudern und zu schwofen (plaudern ist eine Redensart), das mein eigener Vater nach dem Vorbild oder der Idee des Karnevals konzipiert hatte, um die Wächter bei Laune zu halten und sich dort austoben und die Haltung verlieren zu lassen, wo sie sie an den übrigen Tagen bewahren mussten. Er selbst trug Sorge dafür, dass das Essen und die Getränke, die ihnen gereicht wurden, so beschaffen waren, dass

Weitere Kostenlose Bücher