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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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allen Epochen, obwohl ihre besten Imitationen, jene, bei denen Original und Kopie verwechselt werden konnten, den französischen Malern des 18. Jahrhunderts galten, die lange Zeit nicht besonders geschätzt wurden (und die zu fälschen sich daher niemand die Mühe machte), heute hingegen überschätzt sind, zum Teil infolge der von den Experten selbst in den letzten Jahrzehnten beschlossenen Aufwertung. In Ranz’ Wohnung gibt es zwei großartige Kopien eines kleinen Watteau und eines winzigen Chardin, die erste von Custardoy Vater und die zweite von Custardoy Sohn, bei dem er sie erst vor drei Jahren in Auftrag gegeben hatte, oder so sagte er. Custardoy Vater hatte kurz vor seinem Tod, vor nunmehr zehn Jahren, Schwierigkeiten und Ängste auszustehen, er wurde sogar festgenommen und kurze Zeit später wieder freigelassen, ohne dass man ihm den Prozess machte: Bestimmt hat mein Vater von seinem Büro im Prado aus ein paar Leute angerufen, die nach Francos Tod ihren Einfluss nicht ganz verloren hatten.
    Aber so viel Ranz auch verdient und hinzugewonnen haben mochte über Malibu, Boston und Baltimore, über Zürich, Montevideo und Den Haag, durch seine privaten Gefälligkeiten und seine noch privateren Dienste für die Verkäufer, selbst durch seine möglichen Ratschläge für Custardoy den Älteren und jetzt vielleicht gelegentlich für den Jüngeren, sein Vermögen und seine Caprice bestehen, wie ich schon sagte, in seiner persönlichen Sammlung von Zeichnungen und Gemälden und der einen oder anderen Skulptur, obwohl ich immer noch nicht weiß und vorläufig auch nicht wissen werde, welchen Wert dieses Vermögen und diese Caprice besitzen (ich hoffe, er hinterlässt bei seinem Tod einen genauen Expertenbericht). Er hat sich niemals von etwas trennen wollen, von keiner seiner vermeintlichen Kopien und auch nicht von seinen sicheren Originalen, und darin muss man jenseits seiner leichten Betrügereien die Aufrichtigkeit seiner Neigung und seine genuine Leidenschaft für die Malerei erkennen. Dass er uns den Boudin und den Martín Rico im Zwergenformat zur Hochzeit geschenkt hat, muss, genau betrachtet, ein großes Opfer für ihn gewesen sein, auch wenn er sie zu Hause weiter sehen kann. Ich erinnere mich, als er im Prado arbeitete, an seine panische Angst vor Unfall oder Verlust, vor Beschädigung und vor dem geringsten Defekt, sowie vor den Aufpassern und Wärtern des Museums, die man, wie er sagte, phantastisch bezahlen und bei bester Laune halten müsse, denn von ihnen hänge nicht nur die Sicherheit und die Bewachung, sondern schlicht die Existenz der Gemälde ab. Die
Meninas
, sagte er, existieren dank des Wohlwollens oder der täglichen Gnade der Wärter, die das Bild jeden Augenblick zerstören könnten, wenn sie wollten, deshalb müsse man dafür sorgen, dass sie stolz und fröhlich und ausgeglichen seien. Er nahm es verschiedentlich auf sich (es war nicht seine Aufgabe, es war niemandes Aufgabe) herauszufinden, wie es diesen Wärtern ging, ob sie ruhig waren oder aber aufgebracht, ob Schulden sie drückten oder sie zurechtkamen, ob ihre Frauen oder ihre Männer (das Personal ist gemischt) sie gut oder grob behandelten, ob ihre Kinder Anlass zur Freude gaben oder kleine Psychopathen waren, die sie aus dem Gleichgewicht brachten, immer an ihnen interessiert und für sie da, um die Werke der Meister zu bewahren, sie vor ihren möglichen Zornesausbrüchen oder Wutanfällen zu schützen. Mein Vater wusste sehr wohl, dass ein Mann oder eine Frau, die ihre Tage eingesperrt in einem Raum verbringen, wo sie immer dieselben Gemälde sehen, Stunden um Stunden jeden Vormittag und einige Nachmittage auf einem Stuhl sitzend, ohne etwas anderes zu tun, als die Besucher zu überwachen und die Stücke Leinwand anzuschauen (es ist sogar verboten, Kreuzworträtsel zu lösen), verrückt und eine Gefahrenquelle werden oder einen tödlichen Hass auf diese Bilder entwickeln können. Deshalb kümmerte er sich während seiner Jahre im Prado persönlich darum, jeden Monat den Standort der Wärter zu ändern, damit sie dieselben Gemälde wenigstens nur dreißig Tage lang sahen und ihr Hass abkühlen oder sich einem anderen Gegenstand zuwenden konnte, bevor es zu spät wäre. Es gab noch etwas, was er sehr gut wusste: mochte dieser Wärter auch bestraft werden und im Gefängnis landen – wenn er eines Vormittags beschließen würde, die
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zu zerstören, dann wären die
Meninas
so zerstört wie die Dürer in Bremen, wenn denn die

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