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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Flecken die Gemälde nicht ruinieren oder beschädigen konnten, was zur Folge hatte, dass manche Rücksichtslosigkeit und mancher Exzess geduldet wurden: ich habe als Kind Mineralwasser auf den
Meninas
und Meringestücke auf der
Übergabe von Breda
gesehen.

V iele Jahre lang, als Kind und auch später, als Heranwachsender und noch sehr jung, als ich noch das Mädchen aus dem Papierwarengeschäft mit zweifelnden Augen betrachtete, wusste ich nur, dass mein Vater vor meiner Mutter mit der älteren Schwester meiner Mutter verheiratet gewesen war, zuerst mit Teresa Aguilera und dann mit ihrer Schwester Juana, die beiden Mädchen, auf die sich manchmal meine Großmutter bezog, wenn sie Anekdoten aus der Vergangenheit erzählte, oder sie sagte eigentlich nur »die Mädchen«, um sie von deren Brüdern zu unterscheiden, die sie hingegen »die Burschen« nannte. Es dauert nicht nur lange, bis Kinder sich für jene interessieren, die ihre Eltern waren, bevor sie sie kennenlernten (im Allgemeinen entsteht dieses Interesse, wenn die Kinder in das Alter kommen, das die Eltern in dem Moment hatten, da sie sie tatsächlich kennenlernten, oder wenn sie ihrerseits Kinder haben und sich durch sie an ihre eigene Kindheit erinnern und sich erstaunt Gedanken über die schützenden Gestalten machen, denen sie jetzt entsprechen), auch die Eltern gewöhnen sich daran, keine Neugier zu wecken und vor ihren Sprösslingen über sich selbst zu schweigen, zu verschweigen, wer sie waren, oder vielleicht vergessen sie es auch. Fast alle schämen sich ihrer Jugend, es stimmt nicht ganz, dass man sich nach ihr zurücksehnt, wie man sagt, man verdrängt oder flieht sie und verbannt den Ursprung mühelos oder mühevoll in den Bereich der schlechten Träume oder der Romane oder dessen, was nicht existiert hat. Die Jugend wird verborgen, die Jugend ist geheim für jene, die uns nicht mehr jung kennen.
    Ranz und meine Mutter haben niemals Ranz’ Ehe mit der Frau verschwiegen, die meine Tante Teresa gewesen wäre, wenn sie gelebt hätte (oder es nicht gewesen wäre), eine sehr kurze Ehe, von deren Auflösung ich nur wusste, dass der frühe Tod sie verursacht hatte, hingegen wusste ich viele Jahre lang nicht (ich habe auch nicht danach gefragt) die Ursache dieses Todes, und viele weitere Jahre lang glaubte ich, es im Wesentlichen zu wissen, aber man täuschte mich, als ich schließlich fragte, gab man mir eine falsche Antwort, auch das ist eines der Dinge, an die sich die Eltern gewöhnen, die Kinder über ihre vergessene Jugend zu belügen. Man erzählte mir von Krankheit, und das war alles, man erzählte mir viele Jahre lang von einer Krankheit, und es ist schwer, etwas in Frage zu stellen, was man seit der Kindheit weiß, es dauert, bis man misstrauisch wird. Die Vorstellung, die ich folglich immer von dieser so kurzen Ehe hatte, war die eines Irrtums, der verständlich schien in den Augen eines Kindes oder eines Jugendlichen, der lieber an die Unvermeidbarkeit seiner vereinten Eltern denkt, um seine eigene Existenz zu rechtfertigen und damit an seine eigene Unvermeidbarkeit und Daseinsberechtigung zu glauben (ich spreche von den faulen, normalen Kindern, die nicht in die Schule gehen, wenn sie ein bisschen Fieber haben, die nicht arbeiten und morgens mit einem Fahrrad Kisten ausfahren müssen). Die Vorstellung war ohnehin vage, und der erklärliche Irrtum bestand darin, dass Ranz geglaubt haben konnte, eine Schwester zu lieben, die ältere Schwester, wo er doch in Wirklichkeit die andere liebte, die jüngere Schwester, zu viel jünger womöglich in dem Augenblick, da er beide kennenlernte, als dass mein Vater sie hätte ernst nehmen können. Vielleicht wurde es mir so erzählt, es könnte sein, von meiner Mutter oder eher von meiner Großmutter, ich erinnere mich nicht, eine kurze und vielleicht lügnerische Antwort auf eine kindliche Frage, Ranz hat mir natürlich niemals etwas von diesen Dingen erzählt. Es war auch leicht möglich, dass in der Phantasie des Kindes ein anderer Aspekt, nämlich Mitleid, mitspielte: der Trost des Witwers, die Schwester ersetzen, die Verzweiflung des Ehemanns lindern, den Platz der Toten einnehmen. Meine Mutter konnte meinen Vater ein wenig aus Mitgefühl geheiratet haben, damit er nicht allein wäre; oder auch nicht, sie konnte ihn von Anfang an insgeheim geliebt und insgeheim das Verschwinden des Hindernisses, ihrer Schwester Teresa, gewünscht haben. Oder da es nun einmal so gekommen war, sich zumindest in einer

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