Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
Bomben sie zerstört haben, es gäbe keinen Wärter, der die Zerstörung verhindern könnte, wenn der Wärter selbst der Zerstörer wäre, er, der alle Zeit der Welt hat, um seine Missetat durchzuführen, und niemanden, außer sich selbst, der ihm Einhalt gebieten könnte. Es wäre irreversibel, es gäbe keine Möglichkeit, das Bild zu retten.
    Einmal verließ er sein Büro kurz vor der Schließung des Museums, als die meisten Besucher gegangen waren, und traf auf einen alten Wärter namens Mateu (er war schon fünfundzwanzig Jahre dort), der mit einem Wegwerffeuerzeug und dem Rand eines Rembrandt spielte, genau gesagt mit dem unteren linken Rand des
Artemisia
betitelten Gemäldes aus dem Jahr 1634, dem einzigen sicheren Rembrandt des Prado-Museums, auf dem die erwähnte Artemisia, deren Gesichtszüge denen von Saskia, der Frau des genialen Malers und sein häufiges Modell, sehr ähnlich sind, einen schrägen Blick auf einen kompliziert geformten Kelch richtet, den eine junge kniende Dienerin ihr reicht, die dem Betrachter fast den Rücken zuwendet. Die Szene ist auf zwei verschiedene Weisen interpretiert worden, als Artemisia, Königin von Halikarnassos, in dem Augenblick, da sie den Kelch mit der Asche von Mausolos, ihrem toten Gatten, trinkt, dem sie ein Grabmal errichten ließ, das eines der sieben Weltwunder der Antike war (daher
Mausoleum
), oder als Sofonisba, Tochter des Karthagers Hasdrubal, die, um Scipio und den Seinen, die sie förmlich für sich reklamierten, nicht lebendig in die Hände zu fallen, von ihrem neuen Gatten Masinissa einen Giftkelch als Hochzeitsgeschenk erbat, welcher ihr der Geschichte zufolge um der gefährdeten Treue willen verschafft wurde, und dabei hatte Sofonisba nicht nur ihm gehört, sondern war zuvor schon mit einem anderen verheiratet gewesen, mit Syphax, dem Heerführer der Massylier, dem der zweite, plündernde Gatte (der oben genannte Masinissa) sie in Wirklichkeit gerade im Zuge der chaotischen Einnahme von Cirta, heute Constantine in Algerien, geraubt hatte. Man kann daher angesichts des Gemäldes schwer wissen, ob Artemisia zu Ehren von Mausolos eheliche Asche trinkt oder Sofonisba eheliches Gift durch die Schuld Masinissas; obwohl es aufgrund des schrägen Blickes beider eher so aussieht, als würde die eine oder die andere nicht ohne Zögern irgendein ehebrecherisches Gebräu zu sich nehmen. Wie dem auch sei, im Hintergrund ist der Kopf einer alten Frau zu sehen, die eher den Kelch als die Dienerin oder Artemisia selbst beobachtet (wäre es Sofonisba, so besteht die Möglichkeit, dass die Alte ihr das Gift hineingetan hat), man kann sie nicht sehr gut erkennen, der Hintergrund ist ein zu geheimnisvolles Halbdunkel oder er ist zu schmutzig, und die Gestalt Sofonisbas ist so licht und nimmt so viel Raum ein, dass sie die Alte noch zweifelhafter erscheinen lässt.
    Zu jener Zeit gab es keinen automatischen Feueralarm im Prado, wohl aber Feuerlöscher. Mein Vater löste mit einiger Anstrengung einen, der sich in der Nähe befand, aus seiner Halterung, und obwohl er ihn nicht zu gebrauchen wusste, ging er, das Gerät ungeschickt hinter seinem Rücken verbergend (ein gewaltiges Gewicht von auffallender Farbe), langsam auf Mateu zu, der bereits eine Ecke des Rahmens angesengt hatte und die Flamme jetzt ganz dicht an der Leinwand entlangführte, von oben nach unten und von einem Ende zum anderen, als wollte er alles beleuchten, die Dienerin und die Alte und Artemisia und den Kelch, auch einen runden Tisch mit einer Decke, auf der einige beschriftete Bögen liegen (die förmliche Reklamation Scipios vielleicht) und auf den Sofonisba ihre eher rundliche linke Hand stützt.
    »Na, Mateu?«, sagte mein Vater ruhig zu ihm. »Sehen Sie sich das Bild ein bisschen genauer an?«
    Mateu wandte sich nicht um, er kannte Ranz’ Stimme genau und wusste, dass er jeden Tag, bevor er ging, aufs Geratewohl einige Säle ablief, um festzustellen, ob sie unversehrt waren.
    »Nein«, antwortete er völlig natürlich und gelassen. »Ich überlege mir, ob ich es verbrenne.«
    Mein Vater hätte ihm, wie er erzählte, einen Schlag auf den Arm versetzen, ihm das Feuerzeug aus der Hand schlagen und das harmlos gewordene Ding dann mit einem geschickten Fußtritt hinwegbefördern können. Aber seine Hände waren damit beschäftigt, den Feuerlöscher in seinem Rücken zu halten, und außerdem ließ ihn allein die Möglichkeit, er könnte scheitern und den Verdruss des Wärters Mateu noch vergrößern, von

Weitere Kostenlose Bücher