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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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dem Denken und einmal mit der Erzählung, die Ehe ist eine Institution, die dem Erzählen dient. Oder womöglich vergeht so viel Zeit in gegenseitiger Gesellschaft (so wenig es bei den modernen Ehen auch sein mag, immer so viel Zeit), dass die beiden Ehepartner (aber vor allem der männliche Teil, der sich schuldig fühlt, wenn er schweigt) auf das zurückgreifen müssen, was sie denken und was ihnen einfällt und was ihnen widerfährt, um den anderen zu zerstreuen, und so bleibt am Ende kaum etwas von den Taten und Gedanken eines Menschen, das nicht übermittelt oder ehelich übersetzt würde. Übermittelt werden auch die Taten und Gedanken der anderen, die sie uns privat anvertraut haben, und daher die so geläufige Wendung ›das Bett löst die Zunge‹, es gibt keine Geheimnisse zwischen denen, die es teilen, das Bett ist ein Beichtstuhl. Aus Liebe oder aus dem heraus, was ihr Wesen ausmacht – Erzählen, Informieren, Ankündigen, Kommentieren, Urteilen, Zerstreuen, Zuhören und Lachen und vergeblich Planen –, werden die anderen verraten, die Freunde, die Eltern, die Geschwister, die Blutsverwandten und die nicht Blutsverwandten, die früheren Lieben und die Überzeugungen, die früheren Geliebten, die eigene Vergangenheit und die eigene Kindheit, die eigene Sprache, die man zu sprechen aufhört, und zweifellos das eigene Vaterland, das, was an Geheimnis in jedem Menschen ist, oder vielleicht ist es Vergangenheit. Um der Person zu schmeicheln, die man liebt, setzt man den Rest alles Existierenden herab, man negiert und verdammt alles, um einem einzigen Zufriedenheit und Sicherheit zu geben, der fortgehen kann, die Macht des Territoriums, dessen Grenzen das Kissen zieht, ist so groß, dass es alles ausschließt, was nicht auf diesem Kissen ist, es ist ein Territorium, das seinem eigenen Wesen nach nichts als die Ehepartner oder die Liebenden darauf duldet, die gewissermaßen
alleine bleiben
und deshalb miteinander sprechen und nichts verschweigen, unfreiwillig. Das Kissen ist rund und weich und oft weiß, und im Lauf der Zeit ersetzt das Runde und Weiche die Welt und ihr schwaches Rad.
    Luisa erzählte ich im Bett von meinem Gespräch und meinen Mutmaßungen, von dem mir offenbarten gewaltsamen Tod (Custardoy zufolge) meiner Tante Teresa und von der Möglichkeit, dass mein Vater ein weiteres Mal verheiratet gewesen war, ein drittes Mal, welches das allererste gewesen wäre, vor seiner Verbindung mit dem Mädchen, und von dem ich nichts wusste, wenn es zutraf. Luisa verstand nicht, dass ich nicht hatte weiter fragen wollen, Frauen empfinden ungetrübte Neugier, ihr Sinn ist forschend und klatschsüchtig, aber auch unbeständig, sie imaginieren oder antizipieren nicht die Natur dessen, was sie nicht wissen, dessen, was am Ende herausgefunden werden kann und was am Ende getan werden kann, sie wissen nicht, dass die Handlungen sich von allein vollziehen oder dass ein einziges Wort sie in Gang setzt, sie müssen ausprobieren, sie sehen nicht voraus, sie sind vielleicht fast immer bereit, zu wissen, grundsätzlich empfinden sie weder Furcht noch Argwohn in Bezug auf das, was man ihnen erzählen kann, sie denken nicht daran, dass sich bisweilen alles ändert, nachdem man weiß, sogar das Fleisch oder die Haut, die sich auftut, oder etwas wird aufgeschlitzt.
    »Warum hast du ihn nicht mehr gefragt?« fragte sie mich. Sie lag abermals im Bett, wie an jenem Nachmittag in Havanna, vor nur ein paar Tagen, aber jetzt war es normal oder würde es normal sein, wie jede Nacht, abends, auch ich lag unter den noch ganz neuen Laken (Teil der Aussteuer, nahm ich an, ein seltsames, altmodisches Wort, ich weiß nicht, wie man es übersetzt), sie war nicht mehr krank, und es tat ihr auch kein straffer Büstenhalter weh, sondern sie trug ein Nachthemd, ich hatte gesehen, wie sie es Minuten vorher angezogen hatte, im selben Zimmer, in dem Augenblick hatte sie mir den Rücken zugewandt, noch die mangelnde Gewohnheit, jemanden vor sich zu haben, in ein paar Jahren oder vielleicht Monaten wird sie nicht bemerken, dass ich da bin, oder aber ich werde niemand sein.
    »Ich weiß nicht, ob ich mehr wissen will«, antwortete ich.
    »Wie ist das möglich? Ich selbst bin schon ganz neugierig nach dem, was du mir gesagt hast.«
    »Warum?«
    Der Fernsehapparat lief, aber ohne Ton. Ich sah Jerry Lewis, den Komiker, auf dem Bildschirm erscheinen, ein alter Film, vielleicht aus meiner Kindheit, man hörte weiter nichts als unsere Stimmen.
    »Wieso

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