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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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beigebracht, sich mit sich selbst in ihrer Beziehung zum anderen zu beschäftigen.« Luisa hielt inne, aber fuhr sogleich fort, als habe sie das Wort »beigebracht« bereut: »Es mag sein, dass man es ihnen nicht einmal beibringt, sie erben es einfach, schon wenn sie auf die Welt kommen, langweilen sie sich mit sich selbst, ich habe viele gekannt. Sie warten ihr halbes Leben lang, dann kommt nichts, oder was kommt, das erleben sie, als wäre es nichts, dann verbringen sie noch ein halbes Leben damit, ihre Erinnerungen an das zu hegen und zu pflegen, was ihnen so wenig vorkam oder nichts war. So waren unsere Großmütter, unsere Mütter sind noch so. Mit dieser Miriam gibt es keinen künftigen Gewinn, nur den, der jetzt schon da ist und in jedem Fall abnehmen wird, wozu es ändern: weniger hübsch, weniger Begehren, mehr Wiederholung. Diese Frau hat alle ihre Karten ausgespielt, schon von Anfang an blieb ihr keine gute mehr, sie birgt keine Überraschung, sie kann nicht mehr geben als sie schon gibt. Man heiratet nur, wenn man irgendeine Überraschung erwartet oder Gewinn, irgendeine Verbesserung. Na ja, immer nicht.« Sie schwieg einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Sie tut mir sehr leid, diese Frau.«
    »Vielleicht kann sie nicht mehr geben, aber dafür kann sie aufhören, eine Last zu sein, das ist der künftige Gewinn, der mit ihr verbunden ist. Sie könnte aufhören, eine Last zu sein, wenn Guillermo sie eines Tages heiratet. Es gibt auch Männer, die so sind.«
    »Männer, die wie sind?«
    »Männer, die sich mit sich selbst langweilen und sich nur mit ihrer Beziehung zum anderen oder zur anderen beschäftigen. Diesen Männern ist es recht, wenn man ihnen auf die Nerven geht, das hilft ihnen, von einem Tag zum anderen zu kommen, es unterhält sie, es rechtfertigt sie, genau wie die Frauen, denen sie auf die Nerven gehen.«
    »Dieser Guillermo ist nicht so«, sagte Luisa schulmeisterlich (wir beide sind schulmeisterlich).
    Jetzt schaute sie mich an, wenn auch von der Seite, ein misstrauischer Blick – das Misstrauen ererbt –, oder so kam er mir vor. Es gab eine mögliche und sogar wahrscheinliche und sogar obligatorische Frage, aber sie konnte von ihr kommen oder sie konnte von mir kommen. ›Warum hast du mich geheiratet?‹ Oder aber: ›Warum, glaubst du, habe ich dich geheiratet?‹
    »Custardoy hat mich heute Nachmittag gefragt, warum ich dich geheiratet habe.« Das war meine Art, die Frage zu stellen und nicht zu stellen.
    Luisa begriff, es war zu erwarten, dass sie sagte: ›Und was hast du geantwortet?‹ Sie konnte auch schweigen, sie ist sich der Worte ebenso bewusst wie ich, wir haben den gleichen Beruf, auch wenn sie jetzt weniger arbeitet. Einstweilen schwieg sie und ging mit der Fernbedienung abermals rasch die Kanäle durch, es war eine Sache von Sekunden, sie blieb wieder bei Jerry Lewis oder stellte ihn wieder her, er tanzte jetzt mit einem sehr gut gekleideten Mann in einem riesigen leeren Salon. Dieser Mann, ich erkannte ihn und erinnerte mich sofort, war der Schauspieler George Raft, der viele Jahre lang auf Gangsterrollen spezialisiert und ein vollendeter Bolero- und Rumbatänzer war, er spielte im berühmten
Scarface
mit. Jerry Lewis hatte in Zweifel gezogen, dass er er war (›Ach, kommen Sie, Sie sind nicht George Raft, Sie ähneln ihm, aber Sie sind nicht er, was wären Sie lieber als George Raft‹), und zwang ihn, einen Bolero zu tanzen, um zu beweisen, dass er den Bolero wie George Raft tanzte und folglich George Raft war. Die beiden Männer tanzten eng inmitten des leeren Salons und im Dunkeln, ihre beiden Gestalten von einem Scheinwerfer erleuchtet. Es war eine komische Szene, und es war eine seltsame Szene. Wie eine bestimmte Person mit einem Zweifler zu tanzen, um diesem Zweifler zu beweisen, dass man diese Person ist. Diese Szene war in Farbe, und die anderen waren in Schwarzweiß gewesen, vielleicht war dies gar kein Film, sondern eine Komik-Anthologie. Als sie zu tanzen aufhörten und sich schüchtern voneinander lösten, sagte Lewis in meiner Erinnerung zu Raft, als täte er ihm einen Gefallen: ›Ist gut, ich glaube, Sie sind der echte George Raft‹ (aber wir hatten weiter keinen Ton, und ich hörte ihn jetzt nicht, die Worte waren eine ungenaue Erinnerung aus meiner Kindheit, in Englisch hätte er vielleicht gesagt
›the real Raft‹
oder
›Raft himself‹
). Luisa sagte nicht ›Und was hast du ihm geantwortet?‹, sondern:
    »Und hast du ihm

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