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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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als Zeitkraft begeben (während der Versammlung werden etliche benötigt), um acht Wochen zu dolmetschen und dann nach Madrid zurückzukehren und mich zumindest weitere acht Wochen weder fortzurühren noch zu dolmetschen.
    Man amüsiert sich nicht in diesen Städten, nicht einmal in New York, denn man arbeitet dort unter schlechten Bedingungen fünf Tage pro Woche, und die restlichen zwei sind so falsch (wie ein Einschnitt), und man ist so erschöpft, dass man nichts weiter tun kann, als im Hinblick auf die nächste Woche wieder zu Kräften zu kommen, ein wenig spazieren zu gehen, aus der Ferne die Drogensüchtigen und die künftigen Delinquenten zu betrachten, einkaufen zu gehen (zum Glück ist sonntags fast alles geöffnet), den ganzen Tag lang die gigantische
New York Times
zu lesen, Energie- oder Tuttifruttisäfte zu trinken und Fernsehen mit neunzig Kanälen zu sehen (leicht kann in einem von ihnen Jerry Lewis auftauchen). Man möchte das Gehör und die Zunge ausruhen, aber das ist unmöglich, es endet immer damit, dass man zuhört und spricht, auch wenn man alleine ist. Das ist jedoch nicht mein Fall. Die meisten der sogenannten Zeitkräfte mieten während ihres Aufenthalts ein schmuddeliges Appartement, immer billiger als ein Hotel, ein möbliertes Appartement mit Kochnische, und keiner weiß so recht, ob er dort kochen und den Geruch dessen ertragen soll, was er essen wird oder gegessen hat, oder aber immer außerhalb zu Mittag und zu Abend essen soll, was lästig und sehr teuer ist in einer Stadt, in der nichts das kostet, was es zu kosten vorgibt, sondern fünfzehn Prozent mehr obligatorisches Trinkgeld in den Restaurants und dann noch acht Prozent zusätzlich für alles als New Yorker Lokalsteuer (ein Missbrauch, in Boston sind es nur fünf). Ich habe das Glück, in dieser Stadt eine spanische Freundin zu haben, die mich während meiner acht Versammlungswochen sehr freundlich bei sich aufnimmt. Sie lebt ständig dort, sie ist eine Kollegin, die als feste Dolmetscherin für die Vereinten Nationen arbeitet, sie ist seit zwölf Jahren in New York, sie hat eine angenehme und nicht schmuddelige Wohnung, in der man ab und zu kochen kann, ohne dass der Küchengeruch in das Wohnzimmer und die Schlafzimmer zieht (in den mickrigen Appartements ist alles eins, wie man weiß). Ich kenne sie sogar schon länger als die Jahre, die sie außerhalb Spaniens lebt, ich kenne sie von der Universität, beide waren wir Studenten, obwohl sie vier Jahre älter war als ich, was bedeutet, dass sie jetzt neununddreißig ist und ein Jahr jünger war, als ich mich nach meiner Heirat dort aufhielt, zu der Zeit, von der ich spreche oder mich zu sprechen anschicke. Damals, als wir Studenten waren, also in Madrid und vor nunmehr fünfzehn Jahren, haben wir zweimal miteinander geschlafen, oder vielleicht waren es auch drei- oder womöglich vier Male (mehr nicht), bestimmt erinnert sich keiner von uns beiden gut daran, aber wir
wissen
davon, und das Wissen dieser Tatsache, das Wissen sehr viel mehr als die Tatsache selbst, bewirkt in unserem Fall, dass wir uns mit Taktgefühl und gleichzeitig mit großem Vertrauen begegnen, ich meine, dass wir uns alles erzählen und uns Worte des Trostes oder der Ablenkung oder der Ermutigung sagen, wenn wir sehen, dass einer von uns beiden dieser Worte bedarf. Wir vermissen uns auch (vage), wenn wir nicht zusammen sind, einer jener Menschen (im Leben eines jeden gibt es vier oder fünf, und unter ihrem Verlust leidet man wirklich), die man gewöhnlich über das informiert, was passiert, das heißt, an die man denkt, wenn einem etwas passiert, etwas Lustiges oder Dramatisches, und für die man Ereignisse und Anekdoten sammelt. Widerwärtigkeiten nimmt man bereitwillig hin, weil man sie diesen fünf Personen erzählen kann. ›Das muss ich Berta erzählen‹, denkt man (denke ich oft).
    Berta hatte vor sechs Jahren einen Autounfall. Ein Bein wurde ihr zertrümmert, sie hatte zahlreiche offene Brüche, bekam eine Osteomyelitis, man dachte an Amputation, rettete das Bein schließlich, aber sie verlor einen Teil des Oberschenkelknochens, den man kürzen musste, weshalb sie seitdem ein wenig hinkt. Nicht so sehr, dass sie nicht Schuhe mit hohem Absatz tragen könnte (und sie trägt sie mit Eleganz), aber der Absatz des einen Schuhs muss immer ein wenig länger und dicker sein als der des anderen, man fertigt sie speziell für sie an. Diese ungleichen Absätze bemerkt man nicht, wenn man es nicht weiß, hingegen

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