Mein Herz so weiß
merkt man wohl, dass sie ein wenig hinkt, vor allem, wenn sie erschöpft oder zu Hause ist, wo sie keine Anstrengungen macht, ihren Gang zu veredeln: Sie lässt sich gehen, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen und den Schlüssel in die Handtasche getan hat, sie verstellt sich nicht mehr, ihr Hinken ist doppelt so stark. Sie hat auch eine Narbe im Gesicht zurückbehalten, sie ist unscheinbar, so unscheinbar, dass sie sie nicht chirurgisch korrigieren lassen wollte, sie ist wie ein Halbmond auf der rechten Wange, der manchmal, wenn sie schlecht geschlafen oder sich geärgert hat oder sehr müde ist, dunkel und sichtbarer wird. Dann, ein paar Augenblicke lang, glaube ich, dass sie einen Fleck hat, sich beschmutzt hat, und ich sage es ihr: ›Es ist die Narbe‹, erinnert sie mich, die blau oder dunkelviolett geworden ist.
In jüngeren Jahren war sie verheiratet gewesen, einer der Gründe, weshalb sie nach Amerika gegangen war und dort Arbeit gesucht hatte. Sie ließ sich nach drei Jahren scheiden, heiratete zwei Jahre später erneut und ließ sich ein Jahr darauf abermals scheiden. Seitdem hat nichts lange gedauert. Seit sechs Jahren, seit dem Unfall, fühlt sie sich ungerechtfertigterweise alt und misstraut ihren Möglichkeiten, jemanden zu erobern (auf Dauer, versteht sich). Sie ist eine hübsche Frau, mit Gesichtszügen, die nie sehr jugendlich waren, so dass sie sich kaum geändert hat seit den Universitätsjahren. Sie wird im Alter eine angenehme Erscheinung sein, ohne diese Veränderungen, die manche Gesichter unserer Vergangenheit oder unser Gesicht, das wir nie angemessen anschauen, unkenntlich machen. Aber so ungerechtfertigt ihr Gefühl auch in meinen Augen ist, sie hat es nun einmal, und obwohl sie noch nicht kapituliert oder sich zurückgezogen hat, hat ihre Beziehung zu Männern in den letzten Zeiten doch gelitten unter diesem obsessiven, unfreiwilligen Gefühl, eine angstvolle Beziehung, noch nicht gleichgültig, wie sie es wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zeit sein wird. In diesen Jahren, in der Zeit, die ich jeweils als Zeitkraft in der Stadt verbrachte, in der sie lebt, sind in der Wohnung zahlreiche Individuen aus- und eingegangen (die meisten waren Nordamerikaner, einige Spanier, sogar der eine oder andere Argentinier; die meisten kamen in ihrer Begleitung, andere riefen an und verabredeten sich außerhalb mit ihr, wenige kamen sie abholen, einer hatte sogar einen Schlüssel), die nicht das mindeste Interesse zeigten, mich kennenzulernen und folglich nicht das geringste Interesse an ihr gehabt haben dürften (ich meine ein langfristiges Interesse, man hat den Wunsch, die Freunde dessen, der möglicherweise einige Zeit mit uns zusammen ist, kennenzulernen, sogar ihnen angenehm zu sein). Jedes dieser Individuen hat sie enttäuscht oder hat sie verlassen, oftmals nach einer einzigen gemeinsamen Nacht. In jeden dieser Männer hat sie Erwartungen gesetzt, in jedem hat sie Zukunft gesehen, selbst in der ersten Nacht, die so viele Male versprach, die letzte zu sein, und sich daran gehalten hat. Jedes Mal hat sie es schwerer, jemanden zurückzuhalten, und jedes Mal versucht sie es mit größerem Nachdruck (noch ist für sie nicht der Zeitpunkt der Gleichgültigkeit gekommen, meine ich, auch nicht des Zynismus).
Als ich mich nach meiner Hochzeit dort aufhielt, von Mitte September bis Mitte November, war sie schon seit zwei Jahren dabei, ihr Glück mit Verabredungen zu versuchen, die über Agenturen zustande kamen, und seit einem Jahr auch, auf persönliche Kontaktanzeigen (
personals
heißen sie) in Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. Sie hatte für die Agentur ein Video angefertigt, das von dort – nach vorheriger Zahlung – an Leute geschickt wurde, die an jemandem wie sie interessiert waren. Der Ausdruck ist absurd, aber durchaus gebräuchlich, und Berta selbst gebraucht ihn, »Leute, die an jemandem wie mir interessiert sind«, das heißt, Berta glich sich einem vorausgesetzten, aber inexistenten Modell an, statt ein eigenes zu schaffen. In diesem Video sprach sie, auf ihrem Sofa sitzend (sie führte es mir vor, sie bewahrte das Original, die von der Agentur machten und verschickten Kopien), sie war hübsch, sehr zurechtgemacht, sie wirkte gelassen, sie sah jünger aus, sie sprach Englisch vor der Kamera, zum Schluss ließ sie ein paar konventionelle Sätze auf Spanisch fallen, um andere mögliche einsame Spanier anzuziehen, seien sie ortsansässig oder auf der Durchreise, oder
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